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Grab im Wald

Grab im Wald

Titel: Grab im Wald
Autoren: H Coben
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du mich in dem Glauben lassen, Sosch?«
    »Meinst du, die Wahrheit wäre besser gewesen?«
    Ich dachte daran, wie ich meinem Vater im Wald nachspioniert hatte. Immer wieder hatte er da mit dem Spaten nach seiner Tochter gegraben. Und eines Tages hatte er plötzlich damit aufgehört. Ich hatte gedacht, er hätte aufgehört, weil meine Mutter uns verlassen hatte. Ich erinnerte mich noch an den Tag, an dem er das letzte Mal in den Wald gegangen war und wie er dabei zu mir gesagt hatte, dass ich ihm nicht folgen sollte: »Heute nicht, Paul. Heute fahre ich alleine.«
    An dem Tag hatte er sein letztes Loch gegraben. Nicht weil er meine Schwester suchte. Sondern weil er meine Mutter begraben hatte.
    War es ausgleichende Gerechtigkeit, dass er sie da begraben hatte, wo meine Schwester angeblich gestorben war? Oder hatte einfach das praktische Element überwogen – wer würde schon an einem Ort nachgucken, der schon so gründlich abgesucht worden war?
    »Dann hat Dad herausbekommen, dass sie uns verlassen wollte.«
    »Ja.«
    »Wie?«
    »Ich hab’s ihm erzählt.«
    Sosch sah mir in die Augen. Ich sagte nichts.
    »Ich hab erfahren, dass deine Mutter hunderttausend Dollar
vom gemeinsamen Konto deiner Eltern in die Sowjetunion transferiert hat. Es war damals übliche KGB-Praxis, sich gegenseitig im Auge zu behalten. Also habe ich deinen Vater gefragt, was da los ist.«
    »Und er hat sie zur Rede gestellt?«
    »Ja.«
    »Und meine Mutter …« Meine Stimme versagte. Ich räusperte mich, blinzelte, fing noch einmal an. »Meine Mutter hat nie vorgehabt, mich zurückzulassen«, sagte ich. »Sie wollte mich auch mitnehmen.«
    Sosch hielt meinem Blick stand und nickte.
    Die Wahrheit hätte mich ein bisschen beruhigen sollen. Das tat sie aber nicht.
    »Hast du gewusst, dass er sie umgebracht hat, Sosch?«
    »Ja.«
    »Und das sagst du einfach so?«
    Wieder schwieg er.
    »Aber du hast da nichts unternommen, oder?«
    »Wir haben damals noch für die Regierung gearbeitet«, sagte Sosch. »Wenn rausgekommen wäre, dass er ein Mörder ist, hätte uns das alle in Gefahr gebracht.«
    »Deine Tarnung wäre aufgeflogen.«
    »Nicht nur meine. Dein Vater kannte viele von uns.«
    »Also hast du ihn damit durchkommen lassen?«
    »So haben wir das damals gehandhabt. Wir haben Opfer gebracht für ein höheres Gut. Dein Vater hat behauptet, sie hätte damit gedroht, uns alle auffliegen zu lassen.«
    »Hast du ihm das geglaubt?«
    »Welche Rolle spielt es, ob ich es ihm geglaubt habe? Dein Vater wollte sie nicht umbringen. Er ist einfach durchgedreht. Stell dir das doch mal vor. Natascha wollte ihn verlassen und untertauchen. Sie wollte ihm seine Kinder wegnehmen und für immer verschwinden.«

    Ich erinnerte mich wieder an die letzten Worte meines Vaters auf dem Totenbett.
    »Du weißt, dass wir sie immer noch finden müssen …«
    Hatte er Camilles Leiche gemeint. Oder Camille?
    »Dann hat mein Vater rausgekriegt, dass meine Schwester noch lebt«, sagte ich.
    »So einfach war das nicht.«
    »Was soll das heißen, so einfach war das nicht? Hat er’s rausgekriegt oder nicht? Hat meine Mutter es ihm noch gesagt?«
    »Natascha?« Sosch schnalzte kurz. »Niemals. Wenn wir über Mut reden, über den Mut, Leiden zu ertragen … Deine Mutter hätte niemals etwas gesagt. Ganz egal, was dein Vater ihr angetan hätte.«
    »Auch wenn er sie erwürgt hat.«
    Sosch sagte nichts.
    »Wie hat er es dann erfahren?«
    »Nachdem er deine Mutter getötet hatte, hat dein Vater ihre Papiere durchgesehen. Da waren auch die Telefonrechnungen dabei. So hat er sich alles zusammengereimt – oder war zumindest misstrauisch geworden.«
    »Also hat er es gewusst?«
    »Wie schon gesagt, so einfach war das nicht.«
    »Das ergibt doch keinen Sinn, Sosch. Hat er Camille gesucht?«
    Sosch schloss die Augen. Er ging wieder hinter seinen Schreibtisch. »Du hast mich ein paar Mal nach der Belagerung von Leningrad gefragt«, sagte er. »Weißt du, was ich da gelernt habe? Die Toten sind nichts. Sie sind tot. Man begräbt sie, und dann lebt man weiter.«
    »Ich werd’s mir merken, Sosch.«
    »Du hast dich auf diese Suche gemacht. Du wolltest die Toten nicht ruhen lassen. Und wohin hat es dich gebracht? Es sind noch zwei Menschen gestorben, du hast erfahren, dass dein
geliebter Vater deine Mutter umgebracht hat. War es das wert, Pavel? War es das wert, dass du die Geister der Vergangenheit aufgescheucht hast?«
    »Kommt drauf an«, sagte ich.
    »Worauf?«
    »Darauf, was mit meiner
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