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Grab im Wald

Grab im Wald

Titel: Grab im Wald
Autoren: H Coben
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Schwester.«
    Ich schloss die Augen. Mein Herz war schwer.
    »Cope?«
    »Ich weiß«, sagte ich.
    »Was?«
    »Die Frau im Wald war nicht meine Schwester«, sagte ich. »Sie war meine Mutter.«

42
    Sosch war nicht überrascht, mich zu sehen.
    »Du hast es gewusst, stimmt’s?«
    Er war am Telefon und legte die Hand über die Sprechmuschel.
    »Setz dich, Pavel.«
    »Ich hab dich was gefragt.«
    Er beendete das Telefonat und legte den Hörer auf die Gabel. Dann sah er den braunen Aktendeckel in meiner Hand. »Was ist das?«
    »Ein Auszug aus der KGB-Akte meines Vaters.«
    Seine Schultern fielen herab. »Du darfst nicht alles glauben, was da drinsteht«, sagte Sosch. In seinen Worten lag jedoch
keine Überzeugungskraft. Es klang fast so, als hätte er sie von einem Teleprompter abgelesen.
    »Auf Seite zwei«, sagte ich und versuchte das Zittern in meiner Stimme zu beruhigen, »steht, was mein Vater getan hat.«
    Sosch sah mich nur an.
    »Er hat meine Noni und meinen Popi verraten, stimmt’s? Er war die Quelle, die sie ausspioniert hat. Mein eigener Vater.«
    Sosch sagte immer noch nichts.
    »Antworte mir, verdammt noch mal.«
    »Du begreifst das immer noch nicht.«
    »Hat mein eigener Vater meine Großeltern verraten, ja oder nein?«
    »Ja.«
    Ich schwieg.
    »Deinem Vater wurde vorgeworfen, dass er bei einer Geburt gepfuscht hat. Ob das stimmte, weiß ich nicht. Es spielt auch keine Rolle. Die Regierung hatte es auf ihn abgesehen. Ich hab dir erzählt, wie viel Druck sie damals auf die Leute ausüben konnten. Sie hätten deine ganze Familie zerstört.«
    »Also hat er meine Großeltern verkauft, um seine eigene Haut zu retten.«
    »Irgendwann hätte die Regierung sie sowieso gekriegt. Aber ja, von mir aus, Wladimir hat es vorgezogen, seine Schwiegereltern zu opfern, um seine Kinder zu retten. Er wusste nicht, dass es so schiefgehen würde. Er dachte, das Regime würde nur ein bisschen Druck machen, einmal kurz die Muskeln spielen lassen, mehr nicht. Er dachte, sie würden deine Großeltern ein paar Wochen lang einsperren. Und im Gegenzug hätte deine Familie eine zweite Chance bekommen. Dein Vater hätte seinen Kindern und Enkeln ein besseres Leben ermöglicht. Begreifst du das immer noch nicht?«
    »Nein, tut mir leid, das begreife ich nicht.«
    »Weil du reich bist und es dir gut geht.«

    »Jetzt komm mir nicht mit dem Scheiß, Sosch. Menschen verraten ihre Verwandten nicht. Du müsstest das eigentlich wissen. Du hast die Blockade überlebt. Die Menschen in Leningrad haben sich nicht ergeben. Egal, was die Nazis auch versucht haben, ihr habt es mit hocherhobenem Kopf ertragen.«
    »Und das hältst du für klug?«, fauchte er. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. »Mein Gott, bist du naiv. Mein Bruder und meine Schwester sind verhungert. Verstehst du das? Wenn wir uns ergeben hätten, wenn wir den Schweinen die verdammte Stadt überlassen hätten, wären Gavrel und Aline noch am Leben. Irgendwann hätte sich das Kriegsglück sowieso gegen die Nazis gewendet. Aber mein Bruder und meine Schwester wären am Leben gewesen. Sie hätten Kinder, Enkel, Familien haben können. Sie wären alt geworden. Stattdessen …«
    Er wandte sich ab.
    »Wann hat meine Mutter erfahren, was er getan hat?«, fragte ich.
    »Es hat ihn gequält. Deinen Vater, meine ich. Es hat ihn nicht mehr losgelassen. Ich glaube, sie hatte es die ganze Zeit geahnt. Wahrscheinlich hat sie ihn deshalb auch so verachtet. Aber in der Nacht, als deine Schwester verschwunden ist, hat er gedacht, dass Camille tot ist. Da ist er schwach geworden. Also hat er ihr die Wahrheit gesagt.«
    Das klang logisch. Schrecklich logisch. Meine Mutter hatte erfahren, was mein Vater getan hatte. Sie würde ihm den Verrat ihrer geliebten Eltern nie verzeihen. Daher hatte sie kein Problem damit, ihn leiden zu lassen in dem Glauben, dass seine geliebte Tochter tot war.
    »Also«, sagte ich, »hat meine Mutter meine Schwester versteckt. Sie hat gewartet, bis das Geld aus dem Vergleich auf dem Konto war. Dann wollte sie mit Camille verschwinden.«
    »Ja.«
    »Aber jetzt kommt die entscheidende Frage, oder?«

    »Welche Frage?«
    Ich breitete die Hände aus. »Was war mit mir, ihrem einzigen Sohn? Wie konnte meine Mutter mich einfach so zurücklassen?«
    Sosch sagte nichts.
    »Mein Leben lang«, fing ich an, »ich habe mein Leben lang gedacht, meine Mutter hätte sich nicht für mich interessiert. Dass sie uns einfach verlassen hat und ihr die Vergangenheit egal war. Wie konntest
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