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Grab im Wald

Grab im Wald

Titel: Grab im Wald
Autoren: H Coben
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oder nur ein kaltes Abendessen zubereitet hat –, daraus entsteht ein Streit, und der eskaliert dann. Aber in diesem Fall war genau das Gegenteil passiert. Eine große Sache hatte den Ball ins Rollen gebracht: Ein verrückter Serienmörder war der Auslöser gewesen. Wayne Steubens und seine Gier nach Blut hatten das Ganze angestoßen.
    Vielleicht hatten wir es ihm auch auf die eine oder andere Art leicht gemacht. Am Ende war die Angst Waynes bester Komplize. Ihre Macht war mir von EJ Jenrette noch einmal deutlich vor Augen geführt worden – wenn man Menschen nur genug Angst einjagte, fügen sie sich irgendwann. Beim Prozess gegen seinen Sohn hatte das allerdings nicht funktioniert. Chamique Johnson hatte er nicht so viel Angst einjagen können. Und mir auch nicht.
    Bei mir lag es womöglich daran, dass ich schon vorher genug Angst gehabt hatte.
    Lucy hat Blumen mitgebracht, obwohl sie es eigentlich besser wissen müsste. In unserer Tradition legen wir keine Blumen auf Gräber. Wir legen Steine auf Grabsteine. Ich weiß auch nicht, für wen die Blumen bestimmt sind – für meine Mutter oder für ihren Vater. Wahrscheinlich für beide.
    Wir nehmen den alten Weg – ja, er ist noch da, wenn auch ziemlich zugewachsen – zu der Stelle, wo Barrett die Knochen meiner Mutter gefunden hat. Das Loch, in dem sie all die Jahre gelegen hat, ist leer. Ein paar Überreste des gelben Polizei-Absperrbands flattern im Wind.

    Lucy kniet nieder. Ich lausche dem Wind, frage mich, ob ich die Schreie höre. Ich höre sie nicht. Ich höre nur die Leere in meinem Herzen.
    »Warum sind wir in jener Nacht in den Wald gegangen, Lucy?«
    Sie sieht mich nicht an.
    »Ich habe nie so richtig darüber nachgedacht. Alle anderen schon. Sie haben sich gefragt, warum ich mich plötzlich so verantwortungslos verhalten hatte. Aber für mich war es ganz offensichtlich. Ich war verliebt. Ich hatte mich mit meiner Freundin weggestohlen. Das war das Natürlichste der Welt.«
    Sie legt die Blumen behutsam auf den Boden. Sie sieht mich immer noch nicht an.
    »Ira hat Wayne Steubens in jener Nacht nicht geholfen«, sage ich zu der Frau, die ich liebe. »Du hast ihm geholfen.«
    Ich höre den Staatsanwalt in meiner Stimme. Ich will, dass er ruhig ist und verschwindet. Aber das tut er nicht.
    »Wayne hat es gesagt. Die Morde waren sorgfältig geplant – woher hat er also gewusst, dass ich nicht auf meinem Posten bin? Weil du den Auftrag hattest, dafür zu sorgen, dass ich nicht da war.«
    Ich sehe, wie sie kleiner wird, wie sie vergeht.
    »Deshalb konntest du mir nicht unter die Augen treten«, sage ich. »Deshalb hast du immer noch das Gefühl, dass du einen Berg hinunterfällst und keinen Halt findest. Es liegt nicht daran, dass deine Familie das Ferienlager, ihren guten Ruf und ihr ganzes Geld verloren hat. Es liegt daran, dass du Wayne Steubens geholfen hast.«
    Ich warte. Lucy senkt den Kopf. Ich stehe hinter ihr. Sie verbirgt das Gesicht in den Händen. Sie schluchzt. Ihre Schultern zittern.
    Ich höre ihr Weinen, und mir bricht es das Herz. Ich gehe einen Schritt auf sie zu. Zum Teufel damit, denke ich. Dieses Mal
hat Onkel Sosch Recht. Ich muss nicht alles wissen. Ich muss nicht alles aus der Vergangenheit wieder zurückholen.
    Ich brauche sie einfach. Also mache ich diesen Schritt.
    Lucy hebt die Hand, damit ich stehen bleibe. Sie sammelt sich langsam.
    »Ich hab nicht gewusst, was er vorhatte«, sagt sie. »Er hat gesagt, dass er Ira verhaften lässt, wenn ich ihm nicht helfe. Ich dachte … Ich dachte, er wollte Margot nur einen Schrecken einjagen. Du weißt schon. Ein alberner Streich.«
    Ich habe einen Frosch im Hals. »Wayne wusste, dass wir uns aus den Augen verloren hatten.«
    Sie nickt.
    »Woher wusste er das?«
    »Er hat mich gesehen.«
    »Dich«, sage ich. »Nicht uns.«
    Wieder nickt sie.
    »Du hattest die Leiche gefunden, stimmt’s? Margots, meine ich. Das war das Blut in dem Bericht. Wayne hat nicht von mir gesprochen. Er hat von dir gesprochen.«
    »Ja.«
    Ich denke darüber nach, überlege, welch ungeheure Angst sie gehabt haben muss, dass sie dann vermutlich zu ihrem Vater gelaufen ist, worauf Ira dann auch in Panik geriet …
    »Da hat Ira dich dann blutverschmiert gesehen. Und er dachte …«
    Sie sagt nichts. Aber jetzt passte alles zusammen.
    »Um sich selbst zu schützen, hätte Ira Gil und mich nicht umgebracht«, sage ich. »Aber er war ein Vater. Im Endeffekt war er trotz seiner ›Peace, Love and
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