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Gottes blutiger Himmel

Gottes blutiger Himmel

Titel: Gottes blutiger Himmel
Autoren: Fawwaz Hahhad
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Ausbeutung und alles Schlechte verbrüderten. Gekrönt würde all dies mit einer historischen Aussöhnung und einer Umwälzung, die ewig Bestand hätte. Seine Abhandlung war nicht eben wissenschaftlicher Fortschrittssozialismus, sondern eher poetisch-ideelle Inspiration mit romantisch-anarchistischem Inhalt, auch wenn sie formal objektiv gehalten war. Ich hatte einiges daran zu kritisieren und hätte gleichwohl darüber hinwegsehen können, da essich ja nur um Schwärmereien handelte, aber ich sah darin einen gravierenden Missgriff, und unser Meinungsstreit nahm ungewohnt scharfe Formen an. Über unserem Wortgefecht verliefen wir uns in den Gassen der Damaszener Altstadt. Wir wollten ins Naufara-Café und landeten stattdessen beim Salam-Tor, fast schon in al-Amara. Ich wollte die Diskussion beenden, indem ich fragte: »Wann haben denn Revolutionen je durch Argumente gesiegt?«
    »Ich will eine weiße Revolution ohne Blutvergießen«, beharrte Hassan.
    »Eine Veränderung, die Gnade walten lässt, kann keine Früchte tragen«, beschied ich.
    Wer hätte damals geglaubt, dass nach uns junge Gläubige kommen würden, die ihre Bildung in Moscheen und religiösen Zirkeln bezogen hätten, die mutiger sein würden als wir, aber in deren Herzen nicht ein Funke Gnade Platz hätte? Die keinerlei Mitleid mit einem Menschen zeigen würden, wenn er sie auch noch so sehr um Erbarmen bat?
    Mir ist, als irrte ich noch immer dort herum, als würde Hassan noch immer neben mir her auf den längst nicht mehr benutzten Straßenbahnschienen in Richtung der lärmigen Al-Manakhiliye-Gasse laufen. Der Klassenkampf, dachten wir, war der Motor, der die mächtigen Massen in eine großartige Zukunft führen konnte. Wir wussten nur nicht, dass die Zukunft in eine ganz andere Richtung steuerte. Wir waren Zuspätkommer und würden unser Ziel nie erreichen.
    Nach Abschluss unseres Studiums und Ableistung unseres Wehrdienstes, der keiner war, denn weder verteidigten wir unser Land noch eroberten wir besetztes Land zurück, mussten wir, wenn wir denn kämpfen wollten, uns einer der palästinensischen Guerilla-Organisation anschließen, die im Libanon gerade mit dem Rücken zur Wand standen. Dazu entschlossen wir uns aber erst, als sie fast schon aus Beirutvertrieben waren und die palästinensische Frage fortan nur noch in Form von Büros, Verhandlungen, Zugeständnissen und Hinhaltung bestand.
    Also begannen wir ein Dasein als Arbeitslose, das nicht aufregend war, uns aber immerhin Gelegenheit bot, uns erneut in Liebesabenteuer zu stürzen. Diese bestanden aus weiteren Debatten, die wir diesmal mit Genossinnen führten, deren Kampf allerdings hoffnungslos war, wenn sie nicht irgendwann heirateten. Sex war damit kein vergnüglicher Zeitvertreib mehr, sondern wurde zu einer kostspieligen Angelegenheit. Die Politkämpfer standen der Bindung auf ewig zwar ablehnend gegenüber, aber die Liebe erleichterte ihnen die Entscheidung, und so endete ein Genosse nach dem anderen im Käfig der Ehe und verabschiedete sich zugleich von grundlegenden Überzeugungen. Die erregten Diskussionen, die wir weiterhin führten, erinnerten uns nun zunehmend daran, dass niemand mehr da war, der an das glaubte, worüber wir uns die Köpfe heißredeten. Wir nahmen unsere Debatten dennoch als tröstlichen Beweis dafür, dass es für die Welt, die wir wollten, noch Hoffnung gab. Dabei bestand sie tatsächlich nur mehr in unserer Phantasie, während die Welt, gegen die wir uns verbal auflehnten, immer mächtiger wurde.
    Aber was nun passierte, übertraf all unsere Befürchtungen. Radikale Umwälzungen und schmerzlicher Verrat zerstörten das, was wir für Symbole des wahren Sozialismus gehalten hatten. Es blieb nicht einmal mehr Zeit, sie zu verteidigen, und wir konnten lediglich noch für das einstehen, was von unserem Idealismus übrig geblieben war: Gerechtigkeit und Befreiung des Menschen, und selbst dies verkam darin, dass man sich an verbliebene totalitäre Regime klammerte, die nach und nach schamlos vor ihren imperialistischen Feinden kapitulierten. Es folgten Erschütterungen, vonderen Auswirkungen wir uns nie mehr erholen würden. Die Berliner Mauer fiel, die sozialistischen Staaten Europas sagten sich einer nach dem anderen vom großen Bruder Russland los, die Sowjetunion brach auseinander … Die Konterrevolution hatte auf ganzer Linie gesiegt, und wir würden fortan nicht einmal mehr zu träumen wagen.
    Tatsächlich aber waren Hassan und ich beide keine Männer
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