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Gottes blutiger Himmel

Gottes blutiger Himmel

Titel: Gottes blutiger Himmel
Autoren: Fawwaz Hahhad
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Ein anderer Weg ins Paradies
1
    Ich verließ Bagdad als nahezu lebloser Körper in einem alten weißen Pick-up, auf dessen Ladefläche, abgedeckt mit einer blassbraunen, verschlissenen Plane, Sanitätsmaterial gepackt war. Mein Zustand war am Morgen noch halbwegs erträglich gewesen, hatte sich aber im Auto innerhalb weniger Stunden aufgrund der enormen Hitze und der Qual, die mir die Fliegen bereiteten, verschlechtert.
    Ich stieg vom Beifahrersitz auf die Ladefläche um und legte mich unter die Plane auf eine dort befindliche altersschwache Trage. Ich spürte meine Energie und meine Widerstandskräfte schwinden. Alles Sichtbare um mich herum verblasste und begann sich in der Hitze aufzulösen. Eine einzige trostlose Farbe legte sich auf alles.
    Das Auto rüttelte über die Straßen Bagdads, während ich, in den Worten des Fahrers, tapfer gegen den Tod ankämpfte – obwohl ich vor dem, wogegen ich angeblich kämpfte, bereits kapituliert hatte. Ich war zwar lebendig, aber in gewisser Weise auch schon tot. Mein Leben gab es nicht mehr. Und ich fühlte mich wohl, so tot zu sein, ich genoss das Nichtvorhandensein meines Lebens.
    Ich hätte es schon damals als Wohltat empfunden, mein Gedächtnis zu löschen und es so zu versiegeln, dass auch nicht durch den kleinsten Spalt noch einmal der Horror und der Wahnsinn des von mir Erlebten Eingang in meinBewusstsein fänden. Meine Schmerzen würden irgendwann aufhören, wenn nur mein Erinnerungsvermögen seine Zugänge verschlösse. Ich wäre nicht einmal neugierig zu erfahren, was ich erlebt hatte, ich lebte in Frieden, ich sähe nicht wieder und wieder die grauenhaften Bilder, die schon beim leichtesten Aufblitzen gnadenlose Erinnerungen verhießen, die bedrückender waren als der Tod, den ich mir wünschte, um ihnen zu entkommen.
    Permanent vorbeirasende Militärkonvois brachten den Verkehr immer wieder zum Stillstand. Ich lag auf dem Rücken, und meinen trüben Blick durchzuckten blitzartig Aussetzer wie Messerstiche in den Kopf. Weit oben erschien mir durch Risse in der Stoffplane ein bedrohlich dräuender Himmel, der alles mit Anspannung und Trostlosigkeit zudeckte, und in meinen Ohren hämmerte eine dröhnende Stille voll glimmender Hitze. Am Heck des Autos, auf dem ich lag, gab die Plane den Blick auf eine von Transparenten gesäumte Straße frei, welche ein ums andere Mal vom Tod eines Menschen kündeten. Manche Namen waren in Weiß auf schwarzen Stoff geschrieben, andere in schwarzer Schrift auf weißen Stoff. Tote, so weit das Auge reichte, jeder von ihnen als Märtyrer betitelt. Ich war im Land der Märtyrer.
    Mich überkam das Gefühl eines mal rasch, mal langsam sich nähernden Todes, ich spürte ihn in mir, ich sah ihn in der Luft und den Staubwolken, er kreiste über mir wie ein anschwellender fester Schatten, der sich des Raumes und des Atems bemächtigte. Etwas würde gleich passieren, etwas lauerte, jeden Moment würde eine ohrenbetäubende Explosion alles Sichtbare hinwegfegen, nur Rauch und Trümmer würden bleiben, Schrott, Ruß, brennende Überreste, blutende Körper, Fleischfetzen und Knochenteile, Blutrot würde anstelle des grellen Lichts treten. Es waren nur Visionen, aber sie waren intensiver als jede Tatsache.
    Wir gelangten erst aus Bagdad und seinen Vorstädten hinaus, nachdem wir an zahlreichen amerikanischen und irakischen Kontrollposten angehalten und uns an Betonbarrieren vorbeigeschoben hatten. Wir fuhren durch Straßen, auf deren Gehwegen sich Männer und Jungen jeden Alters drängten, aber keine Frauen. Die Feuchtigkeit und der Gestank von aufgetürmtem Müll und offenen Abwasserkanälen erschwerten das Atmen. Das Dröhnen der Autos vermischte sich mit dem Lärm aus Kassettenrekordern, den Rufen fliegender Händler, die auf offenen Handkarren Essen verkauften, und denen von Kindern, die an Ständen Limonade, Naschwerk, Süßigkeiten, Zigaretten, Socken und CDs mit Tanzliedern, Korangesängen und Anleitungen zu frommen Riten ebenso feilboten wie Videos von Hinrichtungen und Anschlägen.
    Unseren Papieren voller irakischer und amerikanischer Stempel war es zu verdanken, dass wir mitunter auf Straßen fahren durften, die Militärfahrzeugen und Panzern vorbehalten waren und auf denen zudem Polizeifahrzeuge mit eingeschalteter Sirene und Geländewagen entlangrasten, die Regierungskonvois begleiteten. Bewaffnete, die ihre Augen hinter schwarzen Brillen verbargen, lehnten aus Autofenstern, schossen in die Luft und zwangen andere Fahrer und
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