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Gottes blutiger Himmel

Gottes blutiger Himmel

Titel: Gottes blutiger Himmel
Autoren: Fawwaz Hahhad
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mir Informationen über mich selber zukommen zu lassen. Wie lange mein Starrsinn anhielt? Nicht lange. Obgleich ich schon geglaubt hatte, ich hätte es geschafft.
4
    Mittags verließ ich das Krankenhaus, und Hassan fuhr mich nach Hause. Bevor er mich allein ließ, sagte er, gleich würde Sana mich besuchen kommen. Ich sagte, dass ich ihre Anwesenheit nicht für nötig hielte. Aber er stellte mir in Aussicht, sie werde jetzt öfter kommen und ich solle ihr mit keinem Wort weh tun, ich brauche jetzt jemanden, der sich um mich kümmerte, und niemand wisse besser über mich Bescheid als sie. Ich streifte durch die Räume meiner Wohnung und öffnete die Fenster, um Licht und Luft hereinzulassen. Auf den Möbeln lag eine feine Schicht Staub. Der Schrank im Schlafzimmer stand halb offen, die Schubladen waren aufgezogen, im Spiegel sah ich eine kurze dunkelblaue Krawatte am Kleiderhaken hängen, auf den rechten Bettrand waren ein Hemd und eine Hose geworfen, daneben lag eine Reisetasche mit ein paar Sachen darin. Sie musste jemandem gehören, der sie im letzten Moment hatte liegenlassen und eilig aufgebrochen war.
    In der Küche fand ich Teller mit vertrockneten und angeschimmelten Essensresten in der Spüle. Im Wohnzimmer lagen auf einem kleinen Tisch Fernbedienungen, an der Wand gegenüber standen ein Fernseher, ein Receiver und ein Videoplayer. Auf einem weiteren Tisch lagen syrische und andere arabische Zeitungen mit Datum vom vorletzten Monat. Bescheidene kleine Dekorgegenstände waren in gläsernen Wandschränken aufgestellt, an der Wand hing ein Landschaftsbild in Öl mit silbernem Rahmen, die Regale der Bibliothek quollen über von Büchern, daneben befanden sich Miniaturen, kleine Zierteppiche und Tonvasen.
    Ich hatte erwartet, mich selbst oder eine Spur zu mir zu finden. Ich war enttäuscht, einer Person zu begegnen, die nicht ich war, einem Mann, der Erinnerungsstücke und sonstige Dinge aufhob, während ich überhaupt nichts aufheben, sondern alles nur loswerden wollte. Ich ließ meinen Blick durch das Zimmer schweifen. Die Bücher, die diese Person gelesen oder durchgeblättert hatte, waren für mich nur bedrucktes Papier. Gegenüber füllte ein Sofa eine leere Ecke.
    Der, der hier alles hatte stehenlassen und verschwunden war, war anwesender als ich selbst. Dieser Andere, Unsichtbare streunte herum, sein, nicht mein Atem strömte durch meine Brust und lärmte in meinem Kopf, ich stand ihm nicht nur gegenüber, ich stieß mit ihm zusammen. Er kam aus dem Nichts und nahm auf dem Sofa Platz. Ich stand neben ihm, vor ihm und womöglich hinter ihm, ich war einsam, ohne Vergangenheit und Erinnerungen, ich stand da als sein Gegenbild, ohne emotionalen Ballast und ohne Sehnsucht nach etwas. Er ließ mir keine andere Wahl, als mich fremd und überflüssig zu fühlen. Aber ich konnte nur dann darauf hoffen, weiter unbeteiligt zu bleiben, wenn es mir gelänge, die Leere in meinem Kopf zu verstärken, indem ich auch um mich herum Leere schuf.
    Sana trat mit ein paar Sachen beladen ein. Der Andere drehte ihr den Rücken zu, sie sprach ihn nicht an. Sie machte ein Mittagessen warm, das sie fertig mitgebracht hatte. Sie aßen gemeinsam, wechselten ein paar Worte, aber keine Blicke. Ich bemerkte mehrfach, dass sie ihn betrachtete. Er hatte Angst vor ihr und wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Die beiden mussten eine Beziehung haben. Aber was für eine, fragte er sich, während sie begann, Sessel und Kommoden abzustauben. War es Liebe, Sex oder Freundschaft? Einerlei, er fürchtete sich davor und wünschte sich, es hätte nie stattgefunden. Am liebsten hätte er geglaubt, dass das, was gerade geschah, nur ein Irrtum war, so wie Irrtümer eben vorkommen.
    Er legte sich aufs Sofa und schlief über eine Stunde lang, ohne etwas zu träumen – oder hatte sich da hinter jener kalten, weißen Fläche etwas abgespielt? Seine Träume waren wie ausgelöscht, die Leere in ihm griff um sich.
    Bei Sonnenuntergang wischte die Frau den Balkonboden und stellte zwei Stühle und ein Tischchen nach draußen. Auf dem Balkon saß sie mit dem Anderen am liebsten, und ich musste auf seinem Stuhl Platz nehmen. Im Abendwind tranken beide schweigend Kaffee, und unter ihnen tauchte Damaskus langsam ins Dunkel. Bunte Lichter erfüllten die Straßen und verzweigten Gassen und verwandelten den Qasyun-Berg in ein leuchtendes Fest, während seine langen Ausläufer sich sanft in die Dunkelheit erstreckten. Ich freute mich, im Schoß einer Stadt zu
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