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Gottes blutiger Himmel

Gottes blutiger Himmel

Titel: Gottes blutiger Himmel
Autoren: Fawwaz Hahhad
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suchte einen Weg, von dem er nicht zurückkehren würde.
    Es hieß Abschied nehmen. Es blieb keine Zeit mehr für Tadel, Gebet oder Weinen. Nur wenige Worte noch waren zu sprechen, und sie zeichneten sich bereits in seinem verletztenBlick ab, als er vom Leichnam seiner Frau zu den Flugzeugen hinaufsah, die abermals Raketen abfeuerten. Ich wusste, was er empfand, und wünschte mir, er würde mir diese Worte zum Abschied ersparen. Sie waren Frage und Antwort zugleich: »Verstehst du nun, warum wir sie töten?«
    Ich fasste ihn an der Hand und versuchte ihn wegzuziehen, damit er möglichst schnell aus der Gefahrenzone käme. Aber er entwand sich meiner Hand. Er wollte nicht, dass ich auch nur einen Schritt mit ihm ging. »Bleib am Leben«, stammelte er.
    Alles, was ich an Widerwillen gegen ihn empfunden hatte, löste sich plötzlich auf. Vor mir stand nur noch mein Sohn, den ein Unglück getroffen hatte. Ich sagte zu ihm: »Ich hatte mir etwas anderes für dich gewünscht.«
    »Wünsche dir nichts für mich.«
    »Ich will nicht um dich trauern.«
    »Vater, wirst du dich von mir lossagen?«, fragte er.
    »Das kann ich nicht, Samer. Es ginge über meine Kräfte.«
    »Ich werde deine Bürde am Tag der Auferstehung tragen«, sagte er.
    Er umarmte mich zum Abschied, und ich küsste ihn. Ich küsste das Kind, das er einmal war, den mordenden Emir, der er geworden war, und einen verletzten Menschen, der Gerechtigkeit wollte. Er trat einige Schritte zurück und betrachtete mich mit großen Augen, um sich mein Bild einzuprägen. Ging ihm durch den Sinn, was mir durch den Sinn ging? Nie wieder würden wir einander begegnen. Wir entfernten uns voneinander, beide langsam rückwärtsgehend, und Tränen liefen ihm über die Wange. Welch hartes Herz er hatte, und wie viele Tränen es dennoch barg!
    Vergeblich wünschte ich mir, dass dieser Moment nie verginge. Er winkte mir noch einmal, ich winkte zurück. Dann drehte er sich um und verschwand im Dickicht.
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Nachwort
    Vor annähernd zehn Jahren ließ Präsident George Bush junior die Armee der Vereinigten Staaten in den Irak Saddam Husseins einmarschieren – allen Warnungen zum Trotz, ohne völkerrechtliches Mandat und unter der falschen Behauptung, der Irak würde Massenvernichtungswaffen entwickeln. Am Ende stand und steht bis heute ein Irak, der sich noch nicht einmal vorbehaltlos darüber freuen kann, dass sein blutiger Diktator gestürzt wurde, denn was vorgeblich bekämpft werden sollte, entstand im Irak erst infolge der US-Präsenz: das Land wurde zum Sammelpunkt eines Terrors, wie ihn die Welt in dieser Gnadenlosigkeit und Allgegenwart bis dahin nicht gekannt hatte. Legitimer Widerstand gegen Besatzung wurde schnell abgelöst durch eine Welle rücksichtsloser Gewalttaten, die in erster Linie die irakische Zivilbevölkerung trafen. Als Urheber insbesondere der im Irak unzählig oft verübten Selbstmordattentate zeichnen bis heute radikale Gruppen verantwortlich, die häufig die Religion des Islams im Namen führen und sie mit Strömen von Blut beflecken. Nicht zuletzt die vormals von Usama bin Laden geführte al-Qaida konnte sich im Irak festsetzen und wurde in der Zeit, in der Haddads Roman spielt – etwa im Sommer 2006 –, vor allem mit dem Namen des damals im Irak agierenden Abu Musab az-Zarqawi assoziiert. Diesen Terrorpaten (den die Amerikaner später töteten) hat derAutor als Protagonisten im Rahmen eines denkwürdigen Dialogs mit dem Ich-Erzähler in den vorliegenden Roman mit aufgenommen. Auf der anderen Seite begingen die USA Kriegs- und Besatzungsverbrechen. Die Folterskandale im Gefängnis Abu Ghuraib wurden dafür zum Sinnbild.
    Bis zum Frühjahr 2011 blieb Syrien, Fawwaz Haddads Heimat, von den Ereignissen im Nachbarland Irak weitgehend unberührt. Dennoch war es dem Autor ein Anliegen, ebenso den US-Krieg wie den radikalislamischen Terror im Irak zu dokumentieren und literarisch zu interpretieren. Dies gelingt ihm auch dadurch überzeugend, dass er das Erzählte in einen existenziellen Rahmen einbettet: der ehemals linksradikale Ich-Erzähler muss miterleben, wie sich sein Sohn in einer Sinnkrise zu einem Islamisten wandelt, dessen Radikalität und Gewalttätigkeit die bewegte Vergangenheit des Vaters geradezu harmlos erscheinen lassen. In dem Versuch, die vermeintliche frühere Vernachlässigung des Sohnes wiedergutzumachen, folgt ihm der Vater aus Damaskus in den Irak, wo er das Treiben von al-Qaida aus nächster Nähe erlebt
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