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Gottes blutiger Himmel

Gottes blutiger Himmel

Titel: Gottes blutiger Himmel
Autoren: Fawwaz Hahhad
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mich getötet hatte.
    Jonathan blieb an meiner Seite, bis ich operiert wurde, und auch danach sorgte er dafür, dass mir die bestmögliche Pflegezuteilwurde. Er behauptete den Ärzten gegenüber, ich hätte Informationen, die für die US-Armee bedeutsam seien, und müsse daher schnell gesund werden. Ich dachte zuerst, er meine es ernst und mahne mich, ihm nichts zu verbergen. Daher sagte ich: »Aber du weißt doch selbst am besten, was passiert ist. Das Lager ist zerstört, und alle Kämpfer sind tot.«
    Aber Jonathan fragte mich gar nichts. Wir waren gut genug befreundet, um einander nichts vormachen zu müssen. Jeder verstand das Schicksal des anderen, so gut er konnte. Jonathan respektierte meine väterlichen Gefühle und berichtete mir, dass Samer die Flucht gelungen sei, er aber nichts über seinen Verbleib wisse.
    Auch Fadhil besuchte mich im Krankenhaus und redete mir gut zu: »Machen Sie sich keine Sorgen.«
    »Ich würde gerne vergessen«, sagte ich nur.
    Als er mich ein weiteres Mal besuchte, tauschten wir ein letztes Lächeln aus. Ich nahm herzlich Abschied von Fadhil, ohne dass er wusste, dass es für immer war. Als er mein Zimmer verlassen hatte, ließ ich meinen Kopf auf das Kissen sinken, und mir war, als würde eine gütige Hand reichlich gnädiges Vergessen über mich ausgießen. In diesem Moment setzte meine Erinnerung aus, und ich weiß nicht, ob ich es so gewollt hatte und ob es gut für mich war. Aber es war wohl die beste Lösung, um Schmerzen zu vermeiden, die ich erst später, aber dann umso heftiger wieder spürte.
    Als alle bemerkten, dass ich mein Gedächtnis verloren hatte, versuchten sie es zuerst mit einem Kennenlernspiel, um meinen Erinnerungen auf die Sprünge zu helfen. Sie stellten mir Jonathan und Fadhil vor, aber ich hatte nur das peinliche Gefühl, dass ich ihnen irgendetwas zu verdanken hätte. Dann begriffen sie, dass mir das Vergessen ein Bedürfnis war, und sahen es mir nach. Ich überließ es der Zeit, ob ich mich wieder würde erinnern können. Eilig hatte ich es nicht.
    Im Krankenhaus kümmerte man sich vorzüglich um mich, aber lange bleiben wollte ich nicht. Obwohl selbst die Ärzte meinten, dass meine Rückkehr nach Syrien meine Heilung beschleunigen und mir mein Gedächtnis zurückgeben könnte, rieten sie mir, meine Behandlung in Bagdad fortzusetzen. Auch Jonathan mahnte, ich müsse erst zu Kräften kommen, bevor ich zurückfuhr. Aber ich bestand darauf, den Irak schnell zu verlassen, so dass Jonathan schließlich meine Abreise vorbereiten musste. Er organisierte dafür einen Fahrer mit einem alten, möglichst unauffälligen Auto. Irgendetwas trieb mich dazu, so schnell wie möglich in meine Heimat zurückkehren zu wollen, auch wenn ich mich ihrer nicht entsann, und deshalb vorzugeben, es ginge mir schon viel besser. In Wirklichkeit hatte ich das deutliche Gefühl, dass mein Körper schon bald versagen würde, und ich wollte nicht, dass dies in Bagdad geschähe.
    Es geschah aber auch in Damaskus nicht.
    Das helle Licht stört mich. Es ist unerträglich. Ich schreibe, um wieder ins Dunkel abzutauchen, ich schreibe, um zu verstehen, aber nicht, um zu leben. Dazu ist es jetzt zu spät. Aber verstehen möchte ich, auch wenn es schwerfällt. Wie kann man etwas berichtigen, das schon bald Geschichte sein und damit Verfälschung, Bereinigung und Interpretation anheimfallen wird? Dafür habe ich mir die Mühe gemacht, dies aufzuschreiben. Um anderen zuvorzukommen, die mir meine Geschichte entwenden könnten.
    Aber ich fiel nicht zurück in Dunkelheit. Die Frau, die ich liebte, umsorgte mich, stand mir bei und überwand meine Unzugänglichkeit und meinen Eigensinn. Nie hätte ich gedacht, dass Liebe Wunder bewirken kann, aber Sana hat mir den Glauben daran geschenkt. Sie hat mich vom Tod ins Leben zurückgeholt, aus der Finsternis ins Licht. Sie gab mirdas Gefühl, dass ich nicht alles richtig, aber auch nicht alles falsch gemacht hatte, dass Aufgeben keine Option ist und ich mich besser dafür entschied, durchzuhalten. Und so habe ich nicht nur durchgehalten, sondern bin mir selbst begegnet. Aber ich habe noch nicht alles erzählt. Ein Kapitel fehlt noch, und es macht mir besonders große Angst. Ich habe versucht, es auszulöschen, es als ungeschehen oder als einen Albtraum zu betrachten, der kein Körnchen Wahrheit enthält. Und doch ist es geschehen.
    Es ist Zeit. Zeit, Erinnerungen zuzulassen, die restlos, ohne Auslassung, erzählt sein wollen. Das ist der Preis des Lichts
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