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Gottes blutiger Himmel

Gottes blutiger Himmel

Titel: Gottes blutiger Himmel
Autoren: Fawwaz Hahhad
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als Sieg, wenn wir ein heimliches Lächeln oder ein verstohlenes Winken errangen oder es uns gelang, mit der Verehrten geheime Botschaften auszutauschen. Wir standen unter ihren Wohnungen am Nadjme-Platz, in den Straßen von Abu Rummane und im Arnus- und Shahbandar-Viertel herum und hofften, sie zu erblicken. Erst in den Sommerferien, wenn die Mädchen nicht mehr auf ihren Balkonen zu sehen waren, wurden unsere Romanzen weniger stürmisch, und sie endeten meist mit dem Herbst, wenn sie die Schule verlassen hatten und wir sie nicht mehr nach Hause tänzeln sahen. Oft erblickten wir dann eine von ihnen zufällig ein paar Monate später an einem regnerischen Wintertag, und wenn es gut für sie gelaufen war, dann hinkte sie am Arm ihres Angetrauten durch die Al-Hamra-Straße und hatte einen dicken Bauch.
    In der dritten Gymnasialklasse entdeckte der ruhige Schüler Hassan die Politik, den Untergrund ebenso wie den öffentlichen Protest. Laut wurde für Krieg demonstriert, um die besetzten Golanhöhen zu befreien. Der Krieg kam, aber der kurz darauf folgende Waffenstillstand enttäuschte die Hoffnungen, und die durch Pendeldiplomatie vermittelten Verhandlungen reduzierten die optimistischen Erwartungenauf ein Minimum. Die Befreiung war auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Kritik an diesem Frieden, der wie eine Befriedung erschien, weckte Hassans Interesse an verbotenen Zeitungen, Broschüren und Flugblättern. Auch hier deckte sich unser Interesse, und wir lasen gemeinsam die damals im Umlauf befindlichen roten Bücher, darunter »Zehn Tage, die die Welt erschütterten«. Der Sieg der Oktoberrevolution beflügelte unsere Phantasie und befeuerte unsere Emotionen. Die Schriften, die wir lasen, kündeten vom Ende des Kapitalismus, der unweigerlichen Abschaffung des Privateigentums und von der Errichtung einer kommunistischen Gesellschaft ohne Ausbeutung und Klassen.
    Wir Schüler glaubten, wir seien die revolutionäre Avantgarde, der es aufgegeben war, die Veränderung herbeizuführen. Unsere Revolution schien vor der Tür zu stehen, und sie bedurfte, so dachten wir, lediglich eines ersten Schrittes. Wir stellten uns vor, bis zur letzten Kugel und zum letzten Atemzug hinter Barrikaden zu kämpfen. Jene weltweiten Vorkämpfer, die Streiks, Aufstände und Kommunen organisierten, waren unsere geistigen Rebellenführer. Gleichwohl erwarteten wir nicht viel, nachdem wir gesehen hatten, wie unser bewaffneter Prophet als Wehrloser und Ausgestoßener in Mexiko ermordet und wie der erste sozialistische Staat der Welt verraten wurde.
    Unsere Freundschaft dauerte an der Universität an, obwohl wir unterschiedliche Fächer studierten, Hassan Politik und Wirtschaft, ich Jura. Wir scherten uns ohnehin nicht darum, was uns beigebracht wurde, denn was waren denn Politik, Wirtschaft und Jura anderes als bürgerliche Wissenschaften? Wir beeinflussten uns gegenseitig, und obwohl wir revolutionär gesinnt waren, traten wir der Kommunistischen Partei nicht bei, weil sie uns nicht radikal genug war. Etwas Geringeres als die permanente Revolution kam füruns nicht in Frage, und so tingelten wir von einer politischen Organisation zur nächsten.
    Nach Jahren der erfolglosen Suche nach einer Partei oder Struktur, der wir uns hätten anschließen können, schufen wir unsere eigene politische Gruppe, die nur aus ein paar Personen bestand, welche im Kreise von Freunden und Rivalen in angemieteten Zimmern in Vorstädten und im Umland von Damaskus, in ärmlichen Wohnvierteln und Stadtrandslums unterwegs waren, sich um Tische versammelten, Kette rauchten, enorme Mengen an Kaffee tranken und nächtelang debattierten. Manchmal wiederholten wir in warmen Cafés oder kalten Kellern dasselbe mit Parteiintellektuellen. Wir liebten es, zu theoretisieren. Ich machte Revolutionsplanungen und schrieb auf, wie man die Macht übernähme, indem man zuerst einen Generalstreik organisierte, dann Waffen an die Bevölkerung verteilte, nach dem Umsturz die Armee auflöste, den Militärapparat zerschlug, die Polizei unter Kontrolle brachte, die Gefängnisse niederriss, die Gefangenen freiließ und die Bürokratie auflöste. Und schon wäre es mit der totalitären Herrschaft vorbei.
    Hassan verfasste währenddessen seine Vision von einem sauberen Klassenkampf ohne Gewalt, Massaker und Opfer. Ihm zufolge bedeutete Klassenkampf, dass man andere mit Argumenten überzeugte, diese sich dann freiwillig dem Lauf der Geschichte beugten und alle sich instinktiv gegen Unterdrückung,
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