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Gottes blutiger Himmel

Gottes blutiger Himmel

Titel: Gottes blutiger Himmel
Autoren: Fawwaz Hahhad
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versklavt. Ausbeutung ist etwas Unabänderliches, sie ist ein tauber Mechanismus, der das Leben weitergehen lässt.« Was mich betraf, so tröstete ich mich lange mit einer sinnlosen Unentschiedenheit.
    Das Arbeitsleben entfernte uns etwas voneinander: Hassan begann für Zeitungen über internationale und regionale Konflikte infolge des Sieges des Kapitalismus und der beginnenden Globalisierung zu schreiben. Seinen Artikeln war noch ein Gefühl von verlorengegangener Gerechtigkeit in einer Welt anzumerken, die in eine unbekannte Zukunft steuerte, gleich wie viel man von Freiheit, Demokratie und Wohlstand sprach und gleich wie sehr man die Globalisierung pries, in der wir unseren Platz erst finden mussten.Seine journalistischen Leistungen blieben in einflussreichen Kreisen nicht unbemerkt, man bat ihn um seine Dienste, und er nahm einen Posten im Zentrum für Strategische Studien an, wo er sein Wissen und die Früchte seines Studiums neben vielen anderen Stellen auch dem Geheimdienst zukommen ließ. Als ich Hassan fragte, ob er es nicht für gefährlich erachte, mit diesem zu tun zu haben, meinte er, es sei ja nur beruflich.
    Auch ich beschloss zu jener Zeit, zu schreiben und mich mit Tagespolitik zu befassen, und wurde somit das, was man einen politischen Beobachter nennt. Mein besonderes Interesse galt den Islamisten, die unseren politischen Platz eingenommen hatten, und ich spekulierte darüber, was diese ausrichten konnten. Auch Fragen wie die, ob man den Gläubigen nicht tatsächlich einmal eine Chance geben sollte, sparte ich nicht aus. Damit stieß ich in einen neuen Bereich vor, doch es lag keinerlei Ironie darin, dass ich mich auf Dinge spezialisierte, die mir zuvor völlig ferngelegen hatten. Zu meinen Abhandlungen über den politischen Islam ermunterte mich nicht zuletzt der Spätmarxismus, der religiösen Fragestellungen gegenüber aufgeschlossen war, und die Tatsache, dass dieser neue Islam kämpferisches Handeln für sich beanspruchte, statt Rückzug und selbstzufriedene Kapitulation zu propagieren. Religion war nicht mehr nur Trost und folgenloser Protest gegen Unrecht und auch nicht mehr nur Glaube an ein besseres Leben im Jenseits. Sie stand jetzt für den Glauben, dass man das Banner des Dschihad bis zum Sieg hochhalten müsse und dass Sieg und Märtyrertod eins seien.
    Ich verfasste eine umfangreiche Studie, die zu einem Kompendium der Geschichte islamistischer Gruppen geriet, und beschrieb, wie diese entstanden waren, für welche Ideen sie eintraten, was sie taten und wie sie sich organisierten. Ichwar nicht besonders zufrieden mit dem Ergebnis, denn meine Arbeit interessierte nur solche, die es entweder auf eine Vernichtung dieser Vereinigungen abgesehen hatten oder die sie schmähen oder sie ausnutzen wollten. Außerdem war nicht auszuschließen, dass sich Dschihad-Sympathisanten und Leute, die von einer Herrschaft Gottes und des Koran träumten, meiner Studie bedienten, auch wenn sie so von einem ungläubigen Wissenschaftler Rechtleitung erhielten.
    Hassan konnte nicht verstehen, was ich an diesen Menschen so interessant fand. Ich sagte, es läge vielleicht daran, dass sie im Grunde, wenn auch leicht modifiziert, unser früheres Vokabular benutzten. Der Imperialismus hieß bei ihnen der Große Satan, reaktionäre Komplizenregime nannten sie gottlose Apostatenherrschaft, ihre revolutionäre Partei hieß Junge Korangeneration, bewaffneter Kampf Dschihad und revolutionäre Gewalt Märtyrertum. Unser alter Kampfgeist schien wiedererstanden zu sein, doch an unserer Stelle saßen jetzt bärtige Männer mit Langhemden, und ihr Ziel war wenn nicht die Islamisierung der Welt, dann ihre grundlegende Umgestaltung oder, wenn auch das nicht ging, sie komplett in die Luft zu jagen und neu aufzubauen. Ich fand es interessant und verstörend zugleich, dass es Leute gab, die für große Ideen ihr Leben opferten: Außenseiter aller Klassen, Wohlhabende und Intelligente, Schulabgänger und Analphabeten, Arme und Besitzlose, Männer und Frauen, heranwachsende Jungen und Mädchen von bescheidener oder ohne Bildung, die außer ihrem Körper keine Waffen besaßen, keine Hochtechnologie, keine Megabomben, keine Flugzeuge und keine Kriegsschiffe. Ihre Waffe war die Selbstopferung und, noch wichtiger, ihre universelle Vision, alle Menschen zum Glauben zu bekehren.
    Hassan ließ sich davon nicht beeindrucken. »Wie wird die Welt denn aussehen«, wandte er ein, »wenn sie von Gottesanhängern beherrscht wird? Doch wohl
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