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Gottes blutiger Himmel

Gottes blutiger Himmel

Titel: Gottes blutiger Himmel
Autoren: Fawwaz Hahhad
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Erschöpfung hinderte mich daran, mich zu konzentrieren, und am meisten schmerzte mich ein Gefühl beständiger Grenzüberschreitung, das daher rührte, dass alle um mich herum mehr über mich wussten als ich selbst. Aber lag es nicht auch daran, dass ich mich an meine Ohnmacht klammerte? Hassan hatte ich gleichwohl einige Fortschritte zu verdanken, denn er flößte mir etwas Selbstvertrauen ein und ließ es mir möglich erscheinen, ich könnte genesen und stark sein, statt nur wie ein Patient in einem Erholungsheim vor mich hin zu dämmern. Tatsächlich regte sich in meinem Innern Widerstandgegen eine Unwissenheit, mit der ich mich arrangiert und die ich dem Anderen angelastet hatte.
    Mich überkam der Gedanke, dass das, was ich vorausahnte, tatsächlich mich betreffen könnte, nicht den Anderen. Wenn ich so weitermachte, gäbe es mich bald überhaupt nicht mehr. Ich wollte mir nicht länger ein Dasein erschaffen, ich wollte wieder ich sein und zurückkommen in meine echte Welt, egal wie diese beschaffen war – gut, verrückt oder böse. Diese Rückkehr war unausweichlich, und meine Ängste boten mir dafür sogar einen Ansatz. Sie waren wie das Ende eines Fadens, das ich ergreifen musste.
    Die flüchtige Szene, die mir plötzlich vor Augen stand, war für mich wie ein Einstieg in das, wovor ich immer geflohen war. Hassan hatte mir diesen Einstieg vorbereitet, und ich wehrte mich nicht dagegen, seinem Bericht zu folgen. Er handelte davon, wie er mich einmal am Flughafen von Damaskus abgeholt hatte.
7
    »Während du verreist warst, war etwas geschehen«, begann Hassan. »Ich wollte dich abholen, um es dir schonend beizubringen. Ich tat so, als sei ich gekommen, um dich nach Hause zu bringen, aber eigentlich hätte dich Samer abholen sollen.«
    Die Halle war voll mit Männern und Frauen, die Abreisende zu ihren Flügen brachten oder Ankommende abholten, es herrschte Lärm und Durcheinander, Kinder reckten ihre Köpfe empor. Leises Weinen, Freudentränen, Reiseaufrufe, mit Koffern aller Größen beladene Gepäckwagen, winkende Hände. Ich sah mich mehrmals um und suchte … Ja, wen suchte ich?
    Samer hatte mir am Telefon einige Tage zuvor versichert, er würde mich abholen. Er war mit Freunden auf einer Erholungsreiseam Meer in Latakia gewesen und hatte gesagt, er würde wieder in Damaskus sein, bevor ich aus Dubai zurückkäme, und er könne mich daher am Flughafen in Empfang nehmen.
    Durch die Wartehalle ging ich in Richtung Ausgang. Ich stieß jemanden mit meiner Schulter, oder hatte er mich gestoßen?, ich sah ihn an und entschuldigte mich, und auch er bat um Verzeihung. Draußen stand ich gedankenverloren auf dem Gehweg und hielt Ausschau nach einem Taxi. Die Damaszener Luft war klar und gleichgültig. Plötzlich erschien unter den auf dem Gehweg Wartenden Hassan. Ich war überrascht, denn ich hatte ihn weder erwartet noch gesucht. Er nahm mich mit einer Umarmung in Empfang, fasste mich an der Hand und zog mich zur Seite. Ich konnte immer noch nichts mit seinem plötzlichen Auftauchen anfangen und fragte ihn nach Samer, bekam jedoch keine Antwort. Hassan redete in einem fort, und ich wusste nicht einmal, wohin er mich bringen wollte.
    »Samer war eine Woche vor deiner Ankunft verschwunden. Als ich beschloss, dich am Flughafen abzuholen, nahm ich mir vor, dich während der Fahrt in die Stadt über meine Vermutungen zu unterrichten und dich auf das Unerfreuliche vorzubereiten, das du kurze Zeit später erfahren würdest.«
    Hassan bat den Taxifahrer, mein Gepäck schon einmal zum Auto zu bringen. Ich fragte ihn erneut nach Samer. »Wir sprechen gleich darüber«, sagte Hassan. »Lieber jetzt«, beharrte ich und weigerte mich, ins Taxi zu steigen.
    »Da du nicht lockerließt, eröffnete ich dir, dass Nuha mich einige Tage zuvor angerufen und mir mitgeteilt hatte, dass sie Samer nicht erreichen könne. Sie hätte sich nichts weiter dabei gedacht, wenn nicht Männer vom Geheimdienst in ihre Wohnung eingedrungen wären und nach ihm gefragt hätten. Sie bat mich, in Erfahrung zu bringen, was sie von ihm wollten. Ich rief in der Dienststelle an und erfuhr, dasseine große Sache gegen Samer laufe und dass er verschwunden sei.«
    Viele Gedanken schossen mir durch den Kopf. Ich argwöhnte, er könnte festgenommen oder ins Gefängnis gesteckt worden sein, und schloss auch Schlimmeres nicht aus. Mir war, als könnte ich jeden Moment zusammenbrechen. Wie lange ich in Damaskus bleiben würde, bevor ich wieder nach Dubai flöge,
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