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Gold

Gold

Titel: Gold
Autoren: Chris Cleave
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schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin froh. Kate ist ihre Mutter. Sie ist für sie durch die Hölle gegangen, und ich bin nur … gegangen.«
    Tom drückte ihren Arm. »Du hast dein Bestes getan. Das tust du immer. Sonst hätte ich dich nicht so gern.«
    »Aber ich liebe sie, Tom. Man kann ein Kind auch lieben, wenn man nicht seine Mutter ist, oder?«
    Er lächelte. »Ich denke schon.«
    Ihr Blick war starr, das Grün ihrer Augen glanzlos. Sie hatte noch einen langen Weg vor sich. Vielleicht würde sie in einer Woche seine Anspielungen verstehen. Noch widersetzte sie sich der Vorstellung, dass sie etwas Wunderbares mit ihrer Zeit anfangen könnte. Sie sprach von Jobs als Model oder Kommentatorin und einem Dutzend anderer Leben, die sie alle unglücklich machen würden. Dennoch, er würde nicht aufgeben. Es brauchte Geduld, wenn man Kometen auf ein normales Lebenstempo herunterreden wollte.
    »Mach dir keine Gedanken«, sagte er. »Alles wird gut.«
    Der Barkeeper stellte die Stühle auf die Tische und versprühte Möbelpolitur, die zitrusfrisch roch und alles keimfrei hinterließ. Der Fernseher in der Ecke berichtete über den Krieg in Afghanistan. Die Jukebox war zu Ella Fitzgerald gewechselt, die Dream a little dream of me sang.
    »Du bist ein ziemlich netter Mensch«, sagte Zoe schließlich.
    »Wenn es mit deinen Knöcheln schlimmer wird, Schätzchen, dann tätest du gut daran, auch nett zu werden.«
    Sie lächelte, ein richtiges Lächeln, das ihn an einen Ort versetzte, an dem er seit Wochen nicht gewesen war.
    Dann wurde ihr Mund wieder zu einer ernsten Linie. »Du bist so gut zu mir«, sagte sie leise.
    »Du bist verdammt noch mal die Geschichte meines Lebens. Weshalb sollte ich nicht gut zu dir sein?«
    Der Barkeeper klingelte zweimal mit der großen Messingglocke. »Feierabend, meine Damen und Herren«, rief er.

Drei Jahre später, Sonntag, 5. April 2015

Nationales Radsportzentrum, Stuart Street, Manchester
    Jack und Kate saßen auf der Tribüne und schauten Sophie unten auf der Bahn zu. Sie sprachen nicht miteinander, sondern lauschten dem Geräusch der Räder auf den Brettern und dem Piepsen des Rundenzählers. Sie warteten gern hier oben, wo Sophie sie nicht sehen konnte, und ließen sie einfach nur fahren. Sie hörten gern Zoes aufgeregte Rufe, wenn sie ihre Tochter anwies.
    Manchmal, wenn Sophie hoch in die Kurven fuhr und geschmeidig wieder auf die Linie zurückkehrte, zuckten ihre eigenen Hände an imaginären Griffen, und die Muskeln in ihren Beinen sehnten sich danach, richtig loszulegen. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, und sie waren dort unten mit Sophie auf der Bahn, donnerten durch die Kurven aus poliertem Ahorn, trieben ihre Körper an jene perfekte Grenze, an der alles stimmte und das Denken stillstand.
    Wenn sie so mitgerissen wurden, mussten sie die Augen schließen und ruhig atmen und sich daran erinnern, dass ihre Zeit vorbei war. Sie existierte nur noch in der unveränderlichen Stille von Jacks Goldmedaille aus Athen, die mit seinem Vater in der Erde begraben lag, und im Baumeln von Kates Londoner Goldmedaille, die an der Lichtkordel in der Toilette unter der Treppe hin und her schwang.
    Nach all den Jahren der Geschwindigkeit bestand die größte Herausforderung darin, still zu sitzen, hier oben auf der dunklen Tribüne. Auch das lernte man, nachdem alle Rennen vorüber waren: dass die schwersten Runden jene waren, die man fuhr, nachdem die Menge nach Hause gegangen war.
    »Die Kleine sieht gut aus, was?«, sagte Jack nach einer Weile.
    Kate sah, wie Sophie grinsend in die nächste Kurve schoss. »Ja, sie ist wirklich schnell.«
    »Meinst du, sie fährt eines Tages um Gold?«
    Sie wollte ihn schon vor allzu großen Hoffnungen warnen, hielt aber den Mund. Wer konnte schon sagen, was wahrscheinlich war und was nicht? Sophie hatte die Leukämie überlebt. Sie hatte den Superlaser des Todessterns in die grenzenlosen Weiten des Raums gerichtet und genau das Ziel getroffen. Sie hatte alle Hindernisse bewältigt.
    Sie beobachteten ihre Tochter. Dunkle Locken schauten unter dem Helm hervor. Wenn sie ihn nicht anhatte, trug sie ihre Haare gern in Schnecken über den Ohren und neigte dazu, ihr Outfit mit Gürtel und Blaster zu vervollständigen. Fremde, die den Argalls heute begegneten, diagnostizierten eher eine modische als eine medizinische Katastrophe.
    Sophie hatte ebenso rasch zugenommen wie ihre Eltern. Mit der Heilung der Krankheit hatten auch einige Allergien und Unverträglichkeiten
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