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Gold

Gold

Titel: Gold
Autoren: Chris Cleave
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Wartens.
    Die Menge legte noch einen Zahn zu.
    Sie schlug mit den Handflächen auf die Bank. »Ich will raus! Warum schließen sie die Tür ab?«
    Tom gähnte und tat die Frage mit einer Handbewegung ab. »Zu unserer eigenen Sicherheit. Sie lassen uns erst raus, wenn die Sicherheitsleute die Flure überprüft haben.«
    Zoe presste die Hände an den Kopf und schaukelte auf der Bank vor und zurück. Es war eine Qual, in diesem winzigen Raum eingeschlossen zu sein und darauf zu warten, dass die Rennleitung sie freiließ. Sie konnte das Zittern einfach nicht unterdrücken. Ihre Augen waren auf die Metalltür geheftet, die in den Scharnieren bebte, weil die Menge so tobte. Es war eine stabile Tür, die einem Feuer mindestens dreißig Minuten trotzen würde – und Autogrammjägern bis in alle Ewigkeit. Die Angst aber drang durch sie hindurch.
    »Oh Gott …«, flüsterte sie.
    »Angst?«
    »Ich mach mir in die Hosen. Ehrlich, Tom, du nicht?« Sie schaute ihn an.
    Er schüttelte den Kopf und lehnte sich zurück. »In meinem Alter fürchtet man sich nicht mehr vor den großen Ereignissen.«
    »Wovor dann?«
    »Ach, du weißt schon. Vor dem hartnäckigen Gefühl, dass ich möglicherweise nur meine eigenen ehrgeizigen Ziele verfolgt und dabei nicht genug auf die Bedürfnisse und Träume der Menschen geachtet habe, die mir am meisten bedeuten oder für die ich verantwortlich bin.«
    Er ließ eine Kaugummiblase zerplatzen und inspizierte seine Fingernägel. Zoe kochte innerlich.
    Von der Tribüne über ihnen erscholl ein neuerlicher Jubelschrei. Der Stadionsprecher peitschte die Menge auf. Sie brüllte Zoes Namen. Trampelte heftiger. Das Neonlicht in der Umkleide erlosch und erwachte stotternd wieder zum Leben. Von der Gipsdecke rieselte Staub.
    »Meinst du, das Gebäude hält?«, meinte Tom.
    Zoe explodierte. »Halt endlich die Klappe. Klappe, Klappe, Klappe!«
    Er grinste. »Komm schon, ist doch nur ein Radrennen. Keine Panik.«
    »Diese fünftausend Menschen schreien aber nicht nach dir.«
    Er lehnte sich herüber und ergriff ihren Arm. »Weißt du, wovor du dich fürchten solltest? Vor dem Tag, an dem sie deinen Namen nicht mehr rufen. Dann bist du wie ich. Du bist der Staub, der sich zwischen den Brettern der Bahn sammelt. Du bist die Spucke, die auf dem Kaugummi unter dem Sitz trocknet. Du bist das Geräusch der Besen, die alles sauber fegen, nachdem die Menge verschwunden ist. Wäre dir das lieber? Ehrlich?«
    Sie schüttelte schmollend den Kopf.
    Er legte eine Hand ums Ohr. »Was? Ich kann dich nicht hören vor lauter Geschrei! Möchtest du lieber das Mädchen sein, an das sich keiner erinnert?«
    »Scheiße noch mal, nein!«
    Er lächelte. »Na schön. Dann beweg deinen Arsch hier raus und gewinn!«
    Die beiden sahen auf die verschlossene Metalltür, dann zu Boden. Und dann sahen sie einander an. Ein Augenblick verging.
    Tom seufzte. »War doch eine aufbauende Rede, oder? Vielleicht kam der Höhepunkt ein bisschen zu früh.«
    Zoe funkelte ihn an, wäre ihm am liebsten ins Gesicht gesprungen. Das Trampeln der Menge über ihnen hörte einfach nicht auf. Der Gipsstaub rieselte jetzt ununterbrochen.
    Sie fixierte die Tür. »Warum kommen die nicht? Wir sind doch schon eine Ewigkeit hier unten.«
    »Vielleicht ist das unsere ganz persönliche Hölle. Vielleicht kommen sie nie, und die Menge wird immer lauter und lauter, und wir bleiben bis in alle Ewigkeit allein mit unseren Gedanken.«
    »Hör auf damit, okay? Ich habe ohnehin ein schlechtes Gewissen.«
    Tom schaute sie aufmerksam an. »Wegen Kate?«
    Zu ihrer eigenen Überraschung fühlte sie sich erleichtert, als er den Namen aussprach. Während der letzten Vorbereitungen – als sie die Metallplatten an den Schuhen befestigt und das Visier ihres Helmes poliert hatte – war ihr gar nicht klar gewesen, wie sehr der Gedanke an ihr nagte.
    »Sie gehört hierher«, sagte sie. »Eigentlich müssten sie und ich dieses Finale fahren.«
    Der Trainer tätschelte ihr Knie. »Braves Mädchen. Aber du hast Kate nicht gezwungen, zu Hause zu bleiben. Das hat sie selbst entschieden.«
    »Trotzdem …«
    »Ich will, dass du es laut aussprichst, Zoe. Ich will, dass du sagst: Kate hat es selbst entschieden. «
    Zoe sah zu Boden. Das Donnern der Menge beschleunigte jedes träge Luftmolekül in dem kleinen, unfertigen Raum. Die stampfenden Füße ließen den Metallrahmen der Bank und die weißen Plastiksitze vibrieren.
    Dann richtete sie den Blick langsam auf ihren Trainer.
    »Kate hat es
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