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Gold

Gold

Titel: Gold
Autoren: Chris Cleave
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hättest du mir etwas lassen sollen. Du hättest nach dem Sturz liegen bleiben können.«
    Kate schaute sie unter Tränen an. »Geht es darum? Dann kannst du ihn haben. Du kannst meinen Platz in London haben. Ich rufe sofort beim Verband an. Ich sage ihnen, ich hätte betrogen. Ich sage ihnen, ich hätte dein Rad sabotiert. Ich sage ihnen alles, was nötig ist, aber lass Sophie aus dem Spiel.«
    Zoe stand auf und trat an ihr vorbei. »Nein. Ich lasse mich nicht noch einmal austricksen. Ich gehe jetzt rein und sage Sophie die Wahrheit.«
    Kate hielt sie am Arm fest. » Bitte . Du kannst alles haben.«
    Zoe wollte ihr den Arm entreißen, doch Kate klammerte sich daran fest, und Zoe hätte fast aufgeschrien, als sich der Druck auf ihre Knöchel verstärkte.
    »Lass mich los!«
    »Bitte, Zoe. Wenn du das tun musst, dann wenigstens nicht jetzt. Einverstanden? Ich gebe dir meinen Platz in London, wenn du Sophie nur einen Monat in Ruhe lässt. Lass sie erst kräftiger werden, okay? Wenn du sie wirklich liebst, dann nimm meinen Platz bei Olympia – nimm, was immer du haben willst –, aber gib ihr ein paar Wochen, damit sie sich erholen kann. Dann kannst du haben, was immer du willst. Nur bitte – bitte – tu ihr das jetzt nicht an.«
    Zoe riss ihren Arm endgültig weg und hielt sich die Ohren zu. »Ich höre nicht mehr auf dich. Es gibt immer einen Grund, warum du glücklich wirst, und, Scheiße, dieses eine Mal will ich nichts davon hören!«
    Zoe entzog sich Kates flehenden Händen und trat durch die Schwingtür in die Aufwachstation. Sie ging rasch am Schwesternzimmer vorbei, ohne auf den Schmerz in ihren Knöcheln zu achten, und blendete die Frauen im Kittel aus, die fragten, ob sie ihr helfen könnten. Sie hörte, wie die Schwingtür hinter ihr aufging, als Kate ihr folgte. Sie eilte durch den Mittelgang und schaute links und rechts durch die schmalen Fenster. Das vierte Zimmer war Sophies – sie sah Jack neben dem Bett sitzen und stürmte durch die Tür.
    Jack blickte auf, doch sie nahm ihn überhaupt nicht zur Kenntnis. Ihr Blick fiel auf Sophie, blass und still, Mund und Nase mit einer durchsichtigen grünen Sauerstoffmaske bedeckt. Sie hielt abrupt inne.
    Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Sophie bewusstlos sein könnte. Sie hatte sich an das Bild von vor zwei Tagen geklammert, als sie lachend im Korb des Lastenfahrrads gesessen hatte, während Kate mit ihr über die Bahn des Velodroms schoss. Zoe hatte damit gerechnet, dass es ihr nicht gut ginge – dass sie vielleicht krank aussehen, aber tapfer lächelnd im Bett sitzen würde. Sie hatte sich sogar ein paar Sätze zurechtgelegt. Sophie, du weißt doch, wie viel Spaß wir auf der Bahn hatten. Wie wäre es, wenn du immer so viel Spaß hättest?
    Die vollkommene Stille, die absolute Reglosigkeit trafen sie wie ein Schlag.
    Sophies stilles wächsernes Gesicht war das perfekte Echo eines Gesichts, das tief in Zoes Gedächtnis begraben lag. Sie schlug keuchend die Hände vor den Mund. Eine wachsende Furcht vertrieb die Hitze aus ihrem Blut, und sie erstarrte, den Blick starr auf Sophies Gesicht gerichtet. Sie kämpfte gegen das Bild eines anderen knochenweißen Gesichts, das sie seit ihrem zehnten Lebensjahr nicht mehr gesehen hatte.
    »Oh Gott …«, flüsterte sie.
    Sie taumelte und hielt sich am metallenen Bettgitter fest, um nicht zu Boden zu fallen.
    Jacks Hand griff nach ihrer, und Kate umschlang sie mit den Armen, doch sie spürte nichts davon. Sie fragten, ob alles in Ordnung sei, aber sie hörte nur die kalte, enge Stille im Raum. Der scharfe Geruch des Desinfektionsmittels beschleunigte die Erinnerung, die sich nicht mehr unterdrücken ließ. Das Krankenbett mit den Gummirollen verstärkte sie, und die grüne Bettwäsche umhüllte sie wie ein Leichentuch, und als sie auf die Knie sank, war sie wieder so groß wie mit zehn Jahren und ging mit einer Sozialarbeiterin durch die widerhallenden verlassenen Flure eines Krankenhauskellers.
    Sie hatten ihr Tabletten gegeben, um sie zu beruhigen, doch davon bekam sie nur einen hohen, schrillen Ton in den Ohren, und ihr Kopf war schwindlig und durcheinander. Adam war vom Rad gefallen – mehr wusste sie nicht. Adam war vom Rad gefallen, und sie musste ihn finden und nach Hause bringen. Sie musste es selbst tun, weil ihre Mutter es nicht konnte. Etwas war mit dem Herzen oder dem Kopf ihrer Mutter passiert, so dass sie nicht aus dem Bett kam und nicht aufhören konnte zu weinen und zu schreien.
    Es war
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