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Gold

Gold

Titel: Gold
Autoren: Chris Cleave
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Mengen von zehn oder zwölf Einheiten produzierte, gemäß den statistischen Wahrscheinlichkeiten, mit denen Kinder im Liefergebiet verstarben. Zu einem späteren Zeitpunkt, vermutlich weiter unten in der Lieferkette, waren die Augen und das Lächeln des Teddybären mit einer patentierten, wetterfesten Farbe aufgetragen worden, die den Vorzug hatte, bei ordnungsgemäßer Anbringung so ziemlich bis in alle Ewigkeit an metamorphem Gestein zu haften.
    Tom fand den Grabstein abscheulich und konnte es kaum ertragen, dass diese junge Frau, die ihm so viel bedeutete, gezwungen war, dieses Ding anzusehen. Er hatte seine Wut an dem wuchernden Riedgras und Brombeergestrüpp ausgelassen und so heftig daran gerissen, dass seine Hände bluteten. Als sie den Grabstein schließlich freigelegt hatten, stand er massiv und aufrecht und unversehrt inmitten der schiefen, wettergegerbten Kreuze.
    Zoe hatte kein Wort gesprochen, sondern nur schweigend auf das furchtbare Kindermonument gestarrt, das auf ewig zwischen den weicheren Steinen der älteren Toten stehen würde. Sie hatte sich hingekniet, ihre erste olympische Goldmedaille hervorgeholt, die Sprintmedaille aus Athen an ihrem verblichenen blauen Band, und sie dem Teddybär um den Hals gehängt. Dann zog sie die verbeulte Aluminiumflasche, die sie und Adam sich geteilt hatten, aus der Jackentasche. Sie stellte sie behutsam auf das Grab und häufte weiße Kieselsteine darum an, damit sie nicht umfiel. Du hast gewonnen , flüsterte sie. Du musst furchtbar durstig sein.
    Als sie zum Auto zurückgingen, hatten sie sich aneinander festgehalten. Seine Knie waren hinüber, ihre Knöchel nicht viel besser, und wäre irgendein anderer Muskel in dem Zustand wie ihre Herzen gewesen, hätte er empfohlen, für den Rest der Rennsaison auszusetzen.
    Bevor er den Motor anließ, saßen sie einige Minuten lang schweigend im Auto.
    »Ich hätte vor zwanzig Jahren herkommen sollen«, sagte sie schließlich. »Ich hätte mich damit auseinandersetzen sollen. So machen es normale Leute, oder?«
    Er überlegte einen Augenblick und seufzte dann. »Denken wir jetzt nicht an das, was wir hätten tun sollen.«
    Zoe blickte nach draußen auf den Friedhof. »Ist es immer so, wenn man mit dem Sport aufhört?«
    »Wie?«
    »Ich weiß nicht. Es fühlt sich an wie Sterben. Oder wie Geborenwerden.«
    Tom dachte darüber nach und klopfte mit den Fingern aufs Lenkrad. »Nein«, sagte er schließlich. »Als meine anderen Fahrer aufhörten, wussten sie mehr oder weniger, was sie mit ihrem Leben anfangen wollten. Vielleicht haben sie deshalb vorher so viel seltener gewonnen als du. Du hast nie an die Zukunft gedacht, oder? Das war auf der Bahn ein Riesenvorteil.«
    »War das den anderen oder mir selbst gegenüber unfair?«
    »Schätzchen, was ist schon fair.«
    Zoe nickte, dann waren sie zu sanftem Schweigen zurückgekehrt. Zurück in Manchester, gaben sie den Wagen ab. Danach waren sie in Zoes Wohnung im sechsundvierzigsten Stock gefahren und hatten ihre letzten Sachen in eine Sporttasche vom Team GB gepackt, während draußen vor den großen Fenstern der Mond über der Stadt aufging. Zuletzt hatte sie ihren Schlüssel in einen schlichten weißen Umschlag gesteckt und den Anwälten, die den Verkauf regelten, in den Briefkasten geworfen.
    Draußen auf der Straße dann hatten sie nicht gewusst, was sie sagen sollten.
    »Ich könnte einen Drink vertragen«, hatte Tom schließlich vorgeschlagen.
    Zoe hatte mit den Schultern gezuckt. »Ich könnte dir dabei zusehen.«
    Nun saß Tom ihr gegenüber und stellte die Gläser auf die Untersetzer. Im Pub war es leer. Die blutroten gemusterten Teppiche rochen nach den verschütteten Getränken der Vergangenheit, waren die beste Tarnung für die Flecken, die noch kommen würden. Die Jukebox spielte gerade God only knows von den Beach Boys.
    »Wie fühlst du dich?«, fragte Tom.
    »Okay.«
    »Und wie findest du das Wetter, hier unten, wo wir Sterbliche leben?«
    Sie zeigte ihm den Mittelfinger.
    Der jungenhafte Barkeeper klingelte mit einer Messingglocke. Ein Zeitabschnitt ging zu Ende. »Letzte Bestellung«, rief er.
    Tom sah stirnrunzelnd auf die Uhr. »Willst du wirklich nichts Stärkeres, Zoe?«
    Sie schüttelte den Kopf, und er berührte ihren Arm.
    »Sollen wir morgen zu Kate und Sophie fahren?«
    »Jetzt nicht. Bald. Ich brauche noch ein bisschen Zeit.«
    Er schaute sie aufmerksam an. »Tut es dir leid, dass du es Sophie nicht gesagt hast?«
    Sie zog die Nase hoch und
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