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Gold

Gold

Titel: Gold
Autoren: Chris Cleave
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an. »Bitte. Ich konnte dich nicht verändern. Das konnte niemand.«
    Sie lachte wild, knurrte fast wie ein Raubtier. »Dann hättest du dich darauf beschränken müssen, die Eintrittskarten für die Freakshow zu verkaufen, genau wie jeder andere.«
    »Das ist nicht fair. Ich habe dich gern. Das hatte ich immer.« Er merkte, wie er rot wurde.
    »Wenn du mich gern hast, dann lass mich mit all den Lügen aufhören. Jetzt bin ich an der Reihe.«
    Er schaute sie scharf an. »Wie meinst du das?«
    »Ich will Sophie die Wahrheit sagen. Und zwar noch heute.
    Er breitete bittend die Hände aus. »Sie ist im Krankenhaus, Zoe.«
    Sofort bereute er seine Worte. Er sah, wie sich ihre Muskeln anspannten und ihr Körper auf dem Drehstuhl zur Seite zuckte in dem Impuls, aufzuspringen und aus dem Büro zu laufen.
    Er ergriff ihr Handgelenk. »Fahr jetzt bitte nicht hin. Lass dir etwas Zeit. Ich habe so etwas schon oft erlebt, wenn Athleten eine lange Karriere beenden. Heute ist der schlimmste Tag deines Lebens, aber glaub mir, du hast eine Zukunft.«
    Sie riss sich los. »Aber nicht ohne meine Tochter. Ich meine es ernst, Tom.«
    Er sah ihr in die Augen und glaubte ihr.
    »Ich werde Sophie die Wahrheit sagen. Ich werde ins Krankenhaus fahren und es ihr jetzt sagen.«
    Sie stand von seinem Schreibtisch auf, und er vertrat ihr den Weg, doch dann zuckte ein flammender Schmerz durch seine Knie, und er verlor den Mut. Er ließ sich wieder auf seinen Stuhl fallen.
    »Ich kann dich nicht aufhalten«, sagte er.
    Und dann, als Zoe sein kleines stickiges Büro verlassen hatte: »Das konnte ich nie.«
    Er starrte eine Minute lang auf seine Hände und rief dann Jack und Kate an, um sie zu warnen.

North Manchester General Hospital
15.30 Uhr
    Zoe trat an die Empfangstheke des Krankenhauses und gab sich als Verwandte aus. Man sagte ihr, wo Sophie zu finden war, und sie folgte den Hinweisschildern zur pädiatrischen Intensivstation. Sie ging durch die langen, mit Linoleum ausgelegten Korridore und spürte die Schwäche in ihren Beinen, eine Nachwirkung des Rennens. Nach einer Niederlage konnte alles Endorphin im Körper die Schmerzen nicht betäuben. An einer Kreuzung von zwei Korridoren musste sie stehen bleiben und sich an die Wand lehnen, bis sich der scharfe Schmerz in ihren Knöcheln gelegt hatte. Menschen kamen an ihr vorbei, bewegten sich mit der undramatischen Effektivität von Körpern, die nur selten bis an die äußerste Grenze getrieben werden. Der Schmerz in ihren Knöcheln erinnerte sie an Tom. Hatte es so bei ihm angefangen – die Arthritis und die Gelenkprobleme? Hatte es ihn gleich in der ersten Minute, nachdem er den Sport aufgegeben hatte, erwischt? Der menschliche Körper war so gebaut – er hielt sich aufrecht, bis man ihm erlaubte auseinanderzufallen. Menschen liefen aus brennenden Gebäuden und brachen erst zusammen, wenn sie in sicherer Entfernung angelangt waren. Ehepartner starben wenige Tage nacheinander, man nannte es gebrochenes Herz.
    Goldene Funken tanzten vor ihren Augen, und der Boden schien fern und uneben. Sie hatte zuletzt vor dem Rennen etwas gegessen – war sogar zu durcheinander gewesen, um an den Energiedrink danach zu denken –, und jetzt war ihr Blutzuckerspiegel zu niedrig. Sie ignorierte den Schmerz in den Knöcheln und zwang sich, der Wegbeschreibung der Empfangsdame zu folgen.
    Kate saß vor dem Eingang zur Aufwachstation auf einem von zwei Stühlen mit Vinylüberzug. Gegenüber befand sich ein Aquarium mit trägen rötlich-gelben Fischen, die an den dünnen grünen Algen knabberten, mit denen die Scheibe überzogen war. Es gab ein Anschlagbrett mit Plakaten des Gesundheitsministeriums, die zum täglichen Verzehr von Gemüse aufriefen und beschrieben, wie man am sichersten nieste.
    Als Kate Zoes Turnschuhe auf dem Linoleum hörte, blickte sie auf. Sie wirkte nicht überrascht. Ihr Gesicht war ausdruckslos und von Müdigkeit gezeichnet. Sie trug noch ihr Renntrikot und den Regenmantel.
    »Hi«, sagte sie leise.
    Zoe verzog das Gesicht. »Tom hat euch Bescheid gesagt, was? Ich gehe rein, okay?«
    Sie legte die Hand an die Tür.
    Kate schaute sie nicht an. »Setz dich einfach, Zoe.«
    Etwas in ihrer Stimme ließ Zoe innehalten.
    »Du kannst mich nicht zurückhalten.«
    »Ich weiß«, sagte Kate. »Also setz dich.«
    »Na schön. Eine Minute, dann gehe ich rein.« Zoe setzte sich auf den zweiten Stuhl und drehte ihn, damit sie Kate anschauen konnte.
    »Sophie ist sehr schwach.«
    Zoe spürte, wie die
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