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Gnosis

Gnosis

Titel: Gnosis
Autoren: Adam Fawer
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das nicht?»
    Elijah zuckte mit den Achseln. «Ich bin Empiriker.»
    Der Kongressabgeordnete würde keine Ahnung haben von der Überzeugung der Empiriker, dachte Elijah: dass Wissen nämlich nur durch Erfahrung entstehen konnte. Mit seiner Bemerkung hatte er das Gespräch beenden wollen. Leider bewirkte er das Gegenteil.
    «Dann sind Sie also ein Anhänger John Lockes?» Ein spielerisches Grinsen blitzte im Gesicht des Abgeordneten auf.
    «Ja», sagte Elijah, erstaunt darüber, dass der selbsternannte «einfache Mann» den Gründervater der Empirie kannte. Die meisten Leute hielten John Locke für eine Figur aus Lost.
    «Aber Locke glaubte an Gott», meinte der Politiker. «Er war sogar der Ansicht, dass von allen religiösen Gruppierungen nur die Atheisten dem Gemeinwesen schaden, weil man nie sicher sein kann, ob sie sich an Gottes Moralgesetze halten.»
    «Wenn es um Religion ging, war Locke inkonsequent. Was man ihm aber nicht zum Vorwurf machen kann. Das 17. Jahrhundert war den Gottlosen gegenüber nicht sonderlich tolerant.» Elijah stockte kurz. «Erst später haben Empiriker die Vorstellung eines allmächtigen Schöpfers geleugnet – aus Mangel an empirischen Beweisen.»
    «Aus Mangel an Beweisen? Als was würden Sie einen Sonnenaufgang bezeichnen?»
    «Astronomie.»
    «Dann glauben Sie vermutlich erst an Gott, wenn er vor Ihnen steht?»
    «So ungefähr.»
    Der Kongressabgeordnete nickte. «Ich würde dieses Gespräch liebend gern weiterführen, aber ich bin jetzt schon spät dran. Schade, dass Sie nicht mit zum Essen kommen können.» Dann fügte er hinzu: «Vielleicht können Sie es ja beim nächsten Mal einrichten.»
    «Bestimmt», sagte Elijah – wohl wissend, dass es kein «nächstes Mal» geben würde.
    Und schon wieder reichte ihm der Politiker lächelnd die Hand, zog sie aber gleich wieder zurück. «Verzeihung», sagte er mit falschem Lächeln (AU 6, 12 und 18). «Reine Gewohnheit.»
    «Kein Problem», sagte Elijah und war plötzlich sicher, dass ihn der Politiker zum Narren hielt.
    «Schön, Sie endlich mal kennengelernt zu haben.» Er drehte sich um und wollte schon gehen, doch Elijah hatte noch etwas zu sagen.
    «Vergessen Sie nicht, was Locke außerdem gesagt hat: Wenn die Regierung nicht die Rechte ihrer Wähler schützt, gibt es darauf nur eine angemessene Reaktion.»
    «Und die wäre?»
    «Revolution.»
    Das Lächeln des Abgeordneten erstarb. «Ich werde es mir merken. Auf Wiedersehen, Mr. Glass.»
    Als der Mann gegangen war, ließ sich Elijah auf den Sessel sinken und verfluchte seine Unfähigkeit, an einem simplen Abendessen teilzunehmen – mit wem auch immer. Terry hatte recht: Seine Phobien wurden schlimmer. Und Elijah hatte es zugelassen. Die wenigen Bekannten, die er hatte, vernachlässigte er, bei seiner Familie meldete er sich viel zu selten. Er gab sich seinen Phobien hin – und alles andere auf. Und er redete sich ein, es sei schon okay, dass sein Sozialleben darin bestand, sich jede einzelne Wiederholung von Law & Order und CSI anzusehen und zu einer Art modernem Chauncey Gardiner aus Willkommen, Mr. Chance zu werden.
    Wenn er nichts unternahm, würden seine Phobien endgültig das Kommando übernehmen. Dann konnte er bald nicht mehr arbeiten. Und was dann?
    Er holte tief Luft, klappte sein Notebook zu und verstaute es in der Computertasche. Er fasste einen Entschluss.
    Er wollte sich nicht mehr verstecken. Er wollte gegen das Verlangen seines Körpers angehen, sich vor allem und jedem zu verstecken. Und beginnen wollte er jetzt – und zwar, indem er auf die Straße ging.
     
    Winter zog das weiße Trägertop über und war froh, aus ihrem Bühnenkleid heraus zu sein. Sie dimmte das Licht und ließ sich zwischen den flackernden Kerzen im Lotussitz nieder. Sie atmete tief, mit geschlossenen Augen, und versuchte, ihren Geist von allem weltlichen Begehren zu befreien – besonders von Michael.
    Beim bloßen Gedanken an seinen Namen fing ihr Herz an zu rasen. Sie atmete tief und betete im Geiste die «Vier Edlen Wahrheiten» des Buddhismus.
    Dukkha. Das Leben ist leidvoll.
    Samudaya. Die Ursache des Leidens ist das Begehren.
    Nirodha. Erlöscht das Begehren, erlischt das Leiden.
    Marga. Zum Erlöschen des Begehrens führt der «Edle Achtfache Pfad».
    Um diesen Pfad zu erreichen, war lebenslange Meditation nötig. Vorerst konzentrierte Winter sich auf nirodha. Während sie ihre Atemübungen fortsetzte, stellte sie sich vor, wie das Ch’i durch ihr Inneres wirbelte und Yin und Yang
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