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Gnadentod

Gnadentod

Titel: Gnadentod
Autoren: Jonathan Kellerman
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Dann fing sie an zu reden.
    Und plötzlich ergab alles einen Sinn.

37
    Wieder nur Wolle.
    Ich trug meinen besten blauen Anzug, ein blau-weiß gestreiftes Hemd, eine gelb bedruckte Krawatte und glänzende Schuhe.
    Meine Kleidung fürs Gericht.
    Ich stieß die Flügeltür zur Abteilung 12 auf und ging einfach hinein. In der Regel sind Sitzungen des Familiengerichts nicht öffentlich, und Zeugen müssen draußen auf dem Gang warten, aber an diesem Vormittag hatte ich Glück. Judy hörte sich Anträge von einem Paar vernünftig klingender Anwälte an, terminierte Anhörungen und scherzte mit ihrem Gerichtsdiener, einem Mann namens Leonard Stickney, der mich kannte.
    Ich setzte mich in die letzte Reihe, der einzige Zuhörer. Leonard Stickney bemerkte mich als Erster und grüßte mich mit einer kurzen Handbewegung.
    Eine Sekunde später sah Judy mich und riss die Augen auf. In ihrer schwarzen Robe saß sie hoheitsvoll hinter dem Richtertisch. Sie wandte sich ab und wies mit kühler, sachlicher Stimme die Anwälte an, innerhalb einer Frist von dreißig Tagen irgendetwas zu tun.
    Ich saß da und wartete. Zehn Minuten später entließ sie die beiden Anwälte, ordnete eine Sitzungspause an und winkte Leonard zu sich. Sie bedeckte ihr Mikrophon mit einer Hand, flüsterte ihm hinter der anderen etwas zu, stand auf und ging durch die Tür hinaus, die in ihr Richterzimmer führte.
    Leonard kam auf mich zu. »Dr. Delaware, die Richterin bittet um Ihre Anwesenheit.«
     
    Weiches Licht, Schreibtisch und Anrichte mit Schnitzereien verziert, tief gepolsterte Sessel, Urkunden und Plaketten an den Wänden, Familienfotos in Bilderrahmen aus Sterlingsilber.
    Ich konzentrierte mich auf den Schnappschuss, auf dem Judys jüngere Tochter Becky abgebildet war. Das Mädchen, das zu dünn geworden war, eine Therapie benötigte und danach versucht hatte, bei Stacy Therapeutin zu spielen.
    Becky, die von Joanne Nachhilfestunden bekommen hatte und deren Noten wieder schlechter geworden waren, nachdem die Nachhilfestunden eingestellt wurden.
    Becky, die zu dünn geworden war, während Joanne immer fetter wurde. Becky, die ihre Beziehung zu Stacy abgebrochen hatte.
    Judy zog ihre Robe aus und hängte sie auf einen Kleiderständer aus Mahagoni. Das Kostüm, das sie heute trug, war bananengelb, eng anliegend und abgesetzt mit sandfarbener Borte. Dazu trug sie große Perlenohrringe und eine kleine Diamantenbrosche. Jedes blonde Haar lag an seinem Platz.
    Glänzendes Haar.
    Sie lehnte sich in ihrem Schreibtischsessel zurück. Glitzernde Gegenstände nahmen einen Großteil der ledernen Arbeitsfläche ein. Die Bilderrahmen, eine kleine Kristallvase, ein Sortiment winziger Bronzekatzen, Millefleurs-Briefbeschwerer, ein Hammer aus Walnußholz mit einer Bronzeplatte am Griff. Ihre knochigen Hände griffen nach einem Briefbeschwerer und rieben an ihm herum.
    »Alex. Was für eine Überraschung. Wir haben kein laufendes Verfahren, oder?«
    »Nein«, sagte ich. »Und ich glaube auch nicht, dass es noch einmal dazu kommt.«
    Sie sah blinzelnd an mir vorbei. »Wie kommen Sie denn darauf?«
    »Weil ich Bescheid weiß«, sagte ich. »Bescheid worüber?«
    Ich antwortete nicht, wenn auch nicht aus irgendwelchen psychologischen Erwägungen heraus. Ich hatte darüber nachgedacht, wie es wäre, hier zu sein, ich hatte es im Geiste geübt, die ersten Wörter formuliert.
    Ich weiß Bescheid.
    Aber der Rest blieb mir im Halse stecken.
    »Was ist das hier, ein Ratespiel?«, fragte sie und versuchte zu lächeln, obwohl sie nicht mehr als ein gereiztes Verziehen ihrer Lippen zustande brachte.
    »Sie waren dort«, sagte ich. »In dem Motel mit Joanne. Jemand hat Sie gesehen. Sie wissen nicht, wer Sie sind, aber sie haben Sie perfekt beschrieben.«
    Was Maribel wirklich gesehen hatte, waren Haare gewesen. Kurze blonde Haare.
    Eine magere Frau, kein Hintern. Ich hob sie nur von hinten gesehen, sie stieg gerade in den Wagen, als ich rauskam, um die Eismaschine zu füllen.
    Sie hatte diese Haare - ganz hell, ganz glänzend, eine wirklich gute Tönung. Diese Haare haben über den ganzen Parkplatz geglänzt.
    »Mate hatte nichts damit zu tun«, sagte ich. »Da waren nur Sie und Joanne.«
    Judy lehnte sich noch ein wenig weiter zurück. »Sie reden Unsinn, mein Lieber.«
    »Man könnte es so betrachten«, sagte ich, »dass Sie einer Freundin beistehen wollten. Joanne hatte ihre Entscheidung getroffen und brauchte jemanden, der am Ende für sie da war. Sie waren ihr immer eine gute
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