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Gnadentod

Gnadentod

Titel: Gnadentod
Autoren: Jonathan Kellerman
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auf der Welt.
    Der Grund, warum er mich angerufen hatte, hing mit der simplen Frage zusammen: Wer hatte es getan? Der Fall hatte so viele pathopsychologische Aspekte, dass ich möglicherweise hilfreich sein könnte.

2
    Außerdem war ich sein Freund, einer der wenigen Menschen, denen er vertrauen konnte.
    Der pathopsychologische Teil bereitete mir kein Kopfzerbrechen, problematisch fand ich nur die freundschaftliche Komponente. Dinge, die ich wusste, ihm aber nicht sagte. Nicht sagen konnte.
    Ich verabredete mich mit ihm für den kommenden Montagmorgen um Viertel vor acht am Tatort. Wenn er im Polizeirevier West L. A. ist, fahren wir normalerweise zusammen, aber da er um Viertel nach sechs bereits einen Termin im Parker Center hatte, kam ich mit meinem eigenen Wagen.
    »Gemeinsames Gebet zum Sonnenaufgang?«, fragte ich. »Mit Typen in Anzügen Kühe melken?«
    »Den Stall ausmisten, während Typen in Anzügen meine Leistung bewerten. Muss einen sauberen Schlips finden.«
    »Geht’s dabei um Mate?«
    »Worum sonst? Sie werden wissen wollen, warum ich null Ergebnisse vorzuweisen habe, ich werde häufig nicken, >Sie haben ja so Recht< sagen und mich aus dem Staub machen.«
     
    Mate war nicht weit von unserem Haus entfernt abgeschlachtet worden, und ich machte mich um halb acht auf den Weg. Zuerst ging es zehn Minuten lang auf dem Beverly Glen nach Norden; der Seville rauschte dahin, weil in dieser Richtung kaum Verkehr war - die wütenden Gesichter der Pendler, die auf den Fahrspuren nach Süden im Stau standen, ignorierte ich.
    Die Erholung der Wirtschaft und der übliche Klüngel hatten zu unablässigen Straßenbauarbeiten in L. A. geführt, was einen mörderischen Verkehr in der Stadt zur Folge hatte. In diesem Monat war das untere Ende des Tals an der Reihe. Selbstgefällige Männer in orangefarbenen CalTrans-Westen installierten rechtzeitig vor der nächsten Dürreperiode neue unwettertaugliche Kanalisationsrohre mit der typischen städtischen Arbeitsteilung: Ein Typ arbeitet, fünf stehen herum. Ich fühlte mich wie ein Royalist in der Zeit vor der Bastille, während ich an der Schlange der Porsches und Jaguars vorbeiglitt, die zwischen alten Schrottkisten und Pickups im Leerlauf dahintuckerten. Demokratie per Unterdrückung, jeder zu Stoßstangen-Intimität genötigt.
    Am Mulholland bog ich links ab und fuhr vier Meilen nach Westen, an erdbebengeprüften Traumhäusern und leeren Grundstücken vorbei, die verkündeten, dass Optimismus nicht jedermanns Sache war. Die Straße wand sich durch Gräser, Gebüsch, junge Bäume und Kaminholz, bevor sie eine scharfe Kurve nach oben machte. Hier wechselte der Belag zu festem ockerfarbenem Erdboden, während der asphaltierte Teil weiter nach Osten verlief, wo er Encino Hills Drive hieß.
    Hier oben über der Stadt war der Mulholland zu einem Feldweg geworden. Als Student war ich hier gern gewandert, war zusammengezuckt beim Anblick von Hirschen, Füchsen, Falken und hatte den Atem angehalten bei verdächtigen Bewegungen des hohen Grases, die von einem Puma hätten herrühren können. Aber das war viele Jahre her, und die Plötzlichkeit, mit der aus einem Highway eine Sackgasse geworden war, traf mich völlig unvorbereitet. Ich bremste abrupt, lenkte den Wagen auf die Böschung und parkte unterhalb des Plateaus aus fahlem Erdreich.
    Milo war bereits eingetroffen, sein kupferfarbener ziviler Einsatzwagen stand vor einem Warnschild: Unbefestigte Straße über sieben Meilen, Durchfahrt verboten für Fahrzeuge aller Art. Ein verschlossenes Tor verkündete, dass Fahrern aus L. A. nicht zu trauen war.
    Er zog sich die Hosen hoch, kam mit ausladenden Schritten auf mich zu und nahm meine Hand zwischen seine riesigen Pranken.
    »Alex.«
    »Großer.«
    Er trug ein flauschiges grünes Tweedsakko, eine braune Baumwollhose, ein weißes Hemd mit verdrehtem Kragen und statt einer Krawatte ein schmales Band mit einem großen, unförmigen Türkis als Verschluss, das wie aus dem Souvenirshop aussah. Ich wusste, dass er dieses Ding angelegt hatte, um seine Vorgesetzten bei der Besprechung an diesem Morgen zu ärgern.
    »Machst du einen auf Cowboy?«
    »Meine Georgia-O’Keeffe-Periode.«
    »Schick.«
    Er lachte tief und grollend, schob eine schwarze Locke aus der Stirn und sah mit zusammengekniffenen Augen zu der Stelle hinüber, an der man den Lieferwagen gefunden hatte.
    Nicht ein Stück den Feldweg hinauf, wo ungestutzte Eichen für einen gewissen Sichtschutz gesorgt hätten, sondern
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