Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gnadentod

Gnadentod

Titel: Gnadentod
Autoren: Jonathan Kellerman
Vom Netzwerk:
hätte.«
    »Falls ja, ist das sein erster öffentlicher Auftritt. Ich hab beim FBI angerufen, aber die haben nichts in ihrem VI-CAP-Programm, was hiermit übereinstimmt. Der Agent, mit dem ich gesprochen habe, meinte, unser Fall hätte sowohl Elemente von organisierten als auch von desorganisierten Serientätern, vielen Dank.«
    »Du hast gesagt, die Amputation wäre nicht fachmännisch gewesen«, sagte ich.
    »Das ist die Meinung des Gerichtsmediziners.«
    »Dann hat unser Junge vielleicht medizinische Ambitionen. Jemand, der einen Groll hegt, von einer medizinischen Fakultät abgelehnt wurde und jetzt aller Welt zeigen will, wie gerissen er ist.«
    »Vielleicht«, sagte er. »Andererseits war Mate ein zugelassener Arzt, und er war definitiv kein Meister seines Fachs. Letztes Jahr hat er einem seiner Reisenden eine Leber entnommen und sie ins County Hospital gebracht. Mit Eis verpackt in einer Kühlbox. Man hätte die Leber angesichts ihrer Herkunft ohnehin nicht akzeptiert, aber sie war Müll. Mate hat es völlig falsch gemacht, Blutgefäße zerhackt, eine riesige Schweinerei angerichtet.«
    »Ärzte, die nicht oft operieren, vergessen rasch das Wenige, das sie im Studium gelernt haben«, sagte ich. »Mate hat die meiste Zeit seines Berufslebens hinter einem Schreibtisch verbracht und ist von einem Gesundheitsamt zum nächsten versetzt worden. Wann ist diese Sache mit der Leber passiert? Ich hab nie davon gehört.«
    »Letztes Jahr im Dezember. Du hast nie davon gehört, weil es nie an die Öffentlichkeit gedrungen ist. Wer hätte auch ein Interesse daran gehabt? Weder Mate, weil er wie ein Trottel dagestanden hätte, noch der Bezirksstaatsanwalt. Sie haben aufgegeben, Mate strafrechtlich zu verfolgen, sie waren es leid, kostenlose Werbung für ihn zu machen. Ich weiß nur deshalb davon, weil der Gerichtsmediziner, der Mates Obduktion vorgenommen hat, die Unterlagen über die Entsorgung der Leber gesehen und Leute im Leichenschauhaus drüber hat reden hören.«
    »Möglicherweise habe ich dem Mörder nicht genug zugetraut«, sagte ich. »In Anbetracht des beengten Raumes, der Dunkelheit und des Zeitdrucks kann es nicht einfach gewesen sein. Vielleicht waren diese irrtümlichen Verletzungen nicht die einzigen Male, wo er mit dem Messer abgerutscht ist. Wenn er sich selbst geschnitten hat, könnte er etwas von seinem eigenen Blut hinterlassen haben.«
    »Dein Wort in Gottes Ohr. Die Jungs von der Spurensicherung haben jeden Quadratzentimeter dieses Lieferwagens unter die Lupe genommen, aber das einzige Blut, das sie bis jetzt identifizieren konnten, ist das von Mate. Null positiv.«
    »Das einzig Gewöhnliche an ihm.« Ich dachte an das einzige Mal, als ich Eldon Mate im Fernsehen gesehen hatte. Ich hatte seine Karriere verfolgt und eine Pressekonferenz nach einer »Reise« gesehen. Der Todesdoktor hatte die allmählich steif werdende Leiche einer Frau - fast alle von ihnen waren Frauen - in einem Motel in der Nähe der Innenstadt liegen lassen und war im Büro des Bezirksstaatsanwalts aufgetaucht, »um die Behörden zu informieren«. Wobei ich darauf tippte, dass er es getan hatte, um anzugeben. Der Mann hatte regelrecht gestrahlt. Damals hatte ein Reporter ihn auf die preiswerten Unterkünfte angesprochen. Mate war wütend geworden und hatte den Satz über Christus zurückgezischt.
    Trotz der öffentlichen Verspottung hatte der Bezirksstaatsanwalt nichts wegen des Todesfalls unternommen, weil fünf Freisprüche bewiesen hatten, dass man nur verlieren konnte, wenn man Mate unter Anklage stellte. Es schmerzte, Mate triumphieren zu sehen. Er hatte sich seines Erfolgs gebrüstet wie ein verzogenes Kind.
    Ein kleiner, rundlicher, kahler Mann Mitte sechzig mit dem verkniffenen Gesicht und der hohen, durchdringenden Stimme eines kleinen Funktionärs, der das Justizsystem verspottete, das ihm nichts anhaben konnte, und gegen diejenigen vom Leder zog, die »sklavisch am hypokratischen Eid hingen«. Er hatte seinen Sieg mit weitschweifigen Sätzen proklamiert, die mit schwer verständlichen Wörtern gespickt gewesen waren (»Meine Partnerschaft mit meinen Reisenden ist ein leuchtendes Exempel reziproker Fruktifikation gewesen.«). Er hielt lediglich inne, um seine schmalen Lippen zu schürzen, die - wenn sie sich nicht bewegten - aussahen, als würde er im nächsten Augenblick spucken. Wenn ihm Mikrophone vors Gesicht gehalten wurden, lächelte er. Er hatte einen stechenden Blick und neigte dazu, zu kreischen. Mit seinen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher