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Gnadentod

Gnadentod

Titel: Gnadentod
Autoren: Jonathan Kellerman
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improvisierten Sprüchen erinnerte er mich immer an einen Varietekünstler.
    »Ja, er war schon eine Nummer, nicht wahr?«, sagte Milo. »Ich dachte immer, wenn man den medizinisch-juristischen Blödsinn abzieht, ist er bloß ein gemeingefährlicher Spinner mit einem Doktortitel. Jetzt ist er das Opfer eines Verrückten geworden.«
    »Und deshalb musstest du an mich denken«, sagte ich.
    »Nun ja«, sagte er, »an wen sonst? Hinzu kommt, dass eine Woche vergangen ist, ohne dass ich auch nur einen Schritt weiter bin. Jede profunde verhaltenswissenschaftliche Erkenntnis ist willkommen, Dr. Delaware.«
    »Bis jetzt nur der Travestie-Aspekt«, sagte ich. »Ein Mörder, der auf Ruhm aus ist, ein Ego, das außer Kontrolle geraten ist.«
    »Klingt ganz nach Mate selbst.«
    »Noch ein Grund mehr, ihn loszuwerden. Denk mal drüber nach: Wenn du ein frustrierter Verlierer wärst, der sich für ein Genie hält und in aller Öffentlichkeit Gott spielen möchte, wer wäre dann besser für die Opferrolle geeignet als der Engel des Todes? Du liegst vermutlich richtig mit der Annahme, dass es sich um eine Reise handelt, die schief gegangen ist. Falls der Mörder einen Termin mit Mate gemacht hat, hat der es vielleicht in seinen Kalender eingetragen.«
    »Wir haben keinen Terminkalender in seiner Wohnung gefunden«, sagte Milo. »Keine Arbeitsunterlagen irgendwelcher Art. Ich halte es für wahrscheinlich, dass Mate den Papierkram bei seinem Rechtsanwalt deponiert hat, diesem Roy Haiseiden. Bei der großen Klappe, die der Bursche hat, sollte man doch annehmen, dass er pausenlos Statements abgibt, aber nada. Er ist ebenfalls verschwunden.«
    Haiseiden hatte an der Pressekonferenz mit Mate teilgenommen. Ein großer Mann von Mitte fünfzig mit gerötetem Gesicht und einem zu üppigen rotbraunen Toupet. »Auch in Amsterdam?«, sagte ich. »Noch ein Humanist?«
    »Ich weiß noch nicht, wo er sich herumtreibt, nur dass er nicht ans Telefon geht… Ja, jeder ist ein Humanist. Unser Bursche hier denkt vermutlich auch, er sei einer.«
    »Nein, das glaube ich nicht«, sagte ich. »Ich glaube, es gefällt ihm, böse zu sein.«
    Ein weiterer Wagen fuhr vorbei. Ein grauer Toyota Cressida. Wieder war eine Frau am Steuer, diesmal ein Mädchen von achtzehn, neunzehn Jahren. Und erneut kein Blick in unsere Richtung.
    »Ich verstehe, was du meinst«, sagte ich. »Die perfekte Stelle für einen nächtlichen Mord. Und für eine kleine Spritztour, also hat Mate sie vielleicht ausgesucht. Und nachdem er wegen der billigen Motels unter Beschuss geraten ist, hat er vielleicht beschlossen, auf eine malerische Umgebung zu setzen - die letzte Reise in einer friedlichen Atmosphäre. Wenn dem so war, ist er dem Mörder entgegengekommen. Oder der Mörder hat den Ort bestimmt, und Mate war einverstanden. Ein Mörder, der sich in der Gegend auskennt - möglicherweise sogar jemand, der nur ein paar Minuten entfernt von hier wohnt, womit wir auch gleich eine Erklärung für das Fehlen von Reifenspuren hätten. Das wäre außerdem ein besonderer Kick: ein Mord praktisch vor seiner Haustür, und er wird trotzdem nicht geschnappt. Wie auch immer - das Zusammenfallen seiner Ziele mit denen von Mate dürfte ihn amüsiert haben.«
    »Ja«, sagte Milo ohne große Begeisterung. »Ich muss meine Detectives die Anwohner abklappern lassen, überprüfen, ob irgendwelche aktenkundigen Irren auftauchen.« Er warf noch einen Blick auf seine Uhr. »Alex, wenn der Mörder einen Termin mit Mate gemacht hat, indem er vorgab, an einer unheilbaren Krankheit zu leiden, bedeutet das, dass das Theater auf einer anderen Ebene stattgefunden hat: schauspielerische Fähigkeiten, mit denen er Mate überzeugen konnte, dass er sterbenskrank war.«
    »Nicht unbedingt«, sagte ich. »Mate hatte seine Latte niedriger gehängt. Am Anfang hat er noch auf unheilbarer Krankheit im letzten Stadium bestanden, aber in letzter Zeit war er der Ansicht, dass jeder Mensch das Recht auf einen würdevollen Tod hat.«
    Keine förmliche Diagnose nötig. Ich machte ein ausdrucksloses Gesicht.
    Vielleicht nicht ausdruckslos genug. Milo starrte mich an. »Irgendwas nicht in Ordnung?«
    »Abgesehen von einem Blutschwall am frühen Morgen?«
    »Oh«, sagte er. »Manchmal vergesse ich, dass du ein ganz normaler Bürger bist. Ich nehme an, du hast keine Lust, dir die Fotos vom Tatort anzusehen.«
    »Enthalten sie zusätzliche Informationen?«
    »Für mich nicht, aber …«
    »Gib schon her.«
    Er holte einen braunen
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