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Gnadentod

Gnadentod

Titel: Gnadentod
Autoren: Jonathan Kellerman
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alles andere als einwandfrei waren.«
    »Ich weiß noch nicht, was ich von dem halten soll, was er getan hat«, sagte ich.
    »Ach.« Er spielte mit seinem Türkisverschluss.
    Es gab viel mehr, was ich hätte sagen können, und ich kam mir gemein vor, als würde ich ihm ausweichen. Neuerlicher Motorenlärm bewahrte mich vor weiterer Selbstprüfung. Diesmal kam der Wagen aus östlicher Richtung, und Milo drehte sich um.
    Eine dunkelblaue BMW-Limousine, 3er Serie, ein paar Jahre alt, mit zwei Insassen. Der Wagen hielt an, das Fenster auf der Fahrerseite glitt herab, und ein Mann mit einem riesigen, ausladenden Schnurrbart sah uns an. Neben ihm saß eine junge Frau, die Augen starr geradeaus gerichtet.
    »Die Yuppies kommen«, sagte Milo. »Endlich jemand, der das Gesetz respektiert.«

3
    Milo winkte den BMW heran; der Mann mit dem Schnurrbart fuhr los und parkte hinter dem Seville. »Ist es hier okay, Detective?«
    »Klar - wo Sie wollen«, sagte Milo.
    Der Mann lächelte unbehaglich. »Ich wollte nicht irgendwelche Spuren ruinieren.«
    »Keine Sorge, Mr. Ulrich. Danke, dass Sie gekommen sind.«
    Paul Ulrich stellte den Motor ab, und er und die Frau stiegen aus. Er war mittelgroß, etwa vierzig und kräftig gebaut. Sein Gesicht mit der sonnenverbrannten Knubbelnase wies eine gepflegte Bräune auf. Seine kurz geschnittenen Haare waren graubraun und sahen aus, als wären sie weich wie Flaum, wobei an zahlreichen Stellen bereits seine rosafarbene Kopfhaut durchblitzte. Als hätte sich sämtliche für seinen Haarwuchs verfügbare Energie auf den Schnurrbart konzentriert, ein verschwenderisches Exemplar von der Breite seines Gesichts, geteilt in zwei rötlich braune geschwungene Flügel, steif gewichst und ausschweifend wie die eines Grenadiers. Sein einziger Ausbruch in die Extravaganz, der sich heftig mit seiner Kleidung biss, die mit der Maßgabe ausgesucht schien, in Century Park East auf keinen Fall aufzufallen: dunkelgrauer Anzug, weißes Hemd mit Button-down-Kragen, blau-silberne Krawatte, schwarze Schnürschuhe. Er hielt die Frau am Ellbogen, als sie auf uns zukamen. Sie war jünger, Ende zwanzig, so groß wie er, schlank, mit schmalen Schultern und einem steifen, zögernden Gang, der Wanderungen in der freien Natur nur schwer vorstellbar machte. Auch ihr Teint sprach für ein Leben in geschlossenen Räumen. Mehr noch: ungesunde Blässe. Kalkweiß, mit durchscheinendem Blau abgesetzt, so bleich, dass Milo neben ihr wie das blühende Leben wirkte. Ihr feines dunkelbraunes, fast schwarzes Haar war kurz wie das eines Jungen. Sie trug eine große schwarze Sonnenbrille, einen schokoladenbraunen Seidenblazer über einem langen bedruckten Kleid und flache geflochtene Sandalen.
    »Ms. Stratton«, sagte Milo, worauf sie ihm widerwillig die Hand gab. Aus der Nähe sah ich Rouge auf ihren Wangen und transparenten Lipgloss auf aufgesprungenen Lippen. Sie wandte sich mir zu.
    »Das ist Dr. Delaware, Ms. Stratton. Unser psychologischer Berater.«
    »Aha«, sagte sie unbeeindruckt.
    »Doktor, dies sind unsere Zeugen - Ms. Tanya Stratton und Mr. Paul Ulrich. Nochmals vielen Dank, dass Sie gekommen sind. Ich weiß es wirklich zu schätzen.«
    »Klar, keine Ursache«, sagte Ulrich mit einem Seitenblick auf seine Freundin. »Ich weiß nicht, was wir Ihnen noch erzählen können.«
    Die Sonnenbrille verbarg ihre Augen und ihren Gesichtsausdruck. Das Lächeln, das sich auf Ulrichs Gesicht auszubreiten begonnen hatte, fiel plötzlich in sich zusammen. Der Schnurrbart kehrte in seine normale Position zurück.
    Er versuchte Gelassenheit vorzutäuschen nach dem, was sie durchgemacht hatten. Sie machte sich die Mühe nicht. Die typische Rollenverteilung. Ich versuchte mir vorzustellen, wie es gewesen sein musste, einen Blick in diesen Lieferwagen zu werfen.
    Sie berührte einen Bügel ihrer Sonnenbrille. »Können wir das schnell hinter uns bringen?«
    »Sicher, Ma’am«, sagte Milo. »Bei unserem ersten Gespräch sagten Sie, es sei Ihnen nichts Außergewöhnliches aufgefallen, aber manchmal erinnern sich Leute im Nachhinein -«
    »Das tun wir leider nicht«, sagte Tanya Stratton. Ihre Stimme war leise und hatte dieses silbendehnende Näseln, das für Kalifornien so typisch ist. »Wir haben gestern Abend noch einmal darüber geredet, weil wir uns hier mit Ihnen treffen wollten. Aber es gibt nichts.«
    Sie verschränkte ihre Arme und sah nach rechts, hinüber zu der Stelle. Ulrich legte seinen Arm um sie. Sie wehrte sich nicht gegen ihn,
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