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Gnadentod

Gnadentod

Titel: Gnadentod
Autoren: Jonathan Kellerman
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schwarze Taschen bei sich. Selbst wenn er zu geizig war, um in eine aus Leder zu investieren, und beispielsweise eine Papiertüte benutzt hat, würde man doch davon ausgehen, dass man sie findet. Warum sollte der Mörder das Humanitron und alles andere zurücklassen und die Tasche mitnehmen?«
    »Mach den Arzt kalt, und klau sein Köfferchen?«
    »Eine Übernahme der Praxis.«
    »Er will Dr. Death werden?«
    »Das ergibt doch einen Sinn, oder? Nachdem er Mate ermordet hat, kann er wohl kaum öffentlich auftreten und um unheilbar kranke Patienten werben. Aber er könnte irgendetwas geplant haben.«
    Milo fuhr sich erneut übers Gesicht. »Noch mehr blutige Arbeit?«
    »Bloß eine Theorie«, sagte ich.
    Milo blickte nach oben zum trüben Himmel, während er mit dem Packen Tatortfotos nachdenklich gegen sein Bein schlug. »Eine Fortsetzung, das wäre super. Äußerst angenehm. Und diese Theorie drängt sich dir auf, weil es vielleicht eine Tasche gab und sie vielleicht jemand mitgenommen hat.«
    »Wenn du sie für blödsinnig hältst, ignorier sie.«
    »Wie zum Teufel soll ich wissen, ob sie blödsinnig ist?« Er stopfte die Fotos in seine Jackentasche, riss seinen Notizblock heraus, schlug ihn auf und stach mit einem abgekauten Bleistift auf das Papier ein. Dann klappte er den Block zu. Das Deckblatt war mit Kritzeleien übersät. »Die Tasche könnte liegen geblieben sein, und jemand hat sie mit ins Leichenschauhaus genommen, ohne sie zu registrieren.«
    »Klar«, sagte ich. »Unbedingt.«
    »Großartig«, sagte er. »Das wäre großartig.«
    »Nun, Leute«, sagte ich mit der Stimme von W. C. Fields, »ich glaube, in puncto Theorie haben wir heute genug geleistet.«
    Sein Lachen klang abgehackt und erinnerte mich an das warnende Bellen eines Mastiffs. Er fächelte sich mit dem Notizblock Luft zu, die kühl und abgestanden war; es rührte sich kein Lüftchen. Milo schwitzte. »Tut mir Leid, dass ich so gereizt bin. Ich hab zu wenig geschlafen.« Ein erneuter Blick auf die Timex.
    »Erwartest du jemanden?«, sagte ich.
    »Die Yuppie-Wanderer. Mr. Paul Ulrich und Ms. Tanya Stratton. Ich habe am Tag des Mordes mit ihnen gesprochen, aber es ist nicht viel dabei herausgekommen. Zu durcheinander - besonders die Frau. Ihr Freund hat die meiste Zeit versucht sie zu beruhigen. Ich kann ihr keinen Vorwurf machen, wenn man bedenkt, was sie gesehen hat, aber sie schien … zerbrechlich. Als würde sie auseinander bröckeln, wenn ich zu viel Druck ausübe. Seit einer Woche versuche ich mit ihnen einen zweiten Gesprächstermin zu vereinbaren. Anrufbeantworter, Entschuldigungen. Gestern Abend habe ich sie schließlich erreicht; ich dachte, ich fahre am besten zu ihnen nach Hause, aber sie meinten, sie würden mich lieber hier oben treffen, was ich für tapfer hielt. Aber vielleicht sehen sie es ja als eine Art Selbsttherapie, wollen - wie sagt man doch gleich - den Schock verarbeiten.« Er grinste. »Siehst du, all die Jahre mit dir färben doch ab.«
    »Noch ein paar, und du kannst Patienten behandeln.«
    »Wenn die Leute mir von ihren Problemen erzählen, landen sie danach hinter Gittern.«
    »Wann seid ihr verabredet?«
    »Vor fünfzehn Minuten. Ein Zwischenstopp auf ihrem Weg zur Arbeit - beide haben einen Job in Century City.« Er trat gegen einen unsichtbaren Stein. »Vielleicht haben sie gekniffen. Selbst wenn sie sich blicken lassen, weiß ich nicht genau, was ich mir von einem Gespräch mit ihnen erhoffe. Aber man muss gründliche Arbeit leisten, stimmt’s? Also, was war Mate in deinen Augen. Idealist oder Serienkiller?«
    »Vielleicht beides«, sagte ich. »Er hat immer sehr arrogant gewirkt, als hätte er keine hohe Meinung von den Menschen, daher ist es schwer zu glauben, dass er ein reiner Altruist war. Nichts sonst in seinem Leben lässt auf außergewöhnliches Mitgefühl schließen. Im Gegenteil: Anstatt Menschen zu helfen, hat er seine medizinische Laufbahn am Schreibtisch verbracht. Und als Arzt hat er nicht viel von sich reden gemacht, bis er damit anfing, Leuten beim Sterben zu helfen. Er hat sich danach gesehnt, beachtet zu werden, ich würde sagen, das war sein entscheidendes Motiv. Auf der anderen Seite gibt es einen Grund dafür, dass die Familien, mit denen du gesprochen hast, ihn unterstützen. Er hat eine Menge Schmerzen gelindert. Die meisten, die auf den Knopf seiner Maschine gedrückt haben, litten Höllenqualen.«
    »Also billigst du, was er getan hat, selbst wenn die Gründe, aus denen er es getan hat,
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