Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gnadentod

Gnadentod

Titel: Gnadentod
Autoren: Jonathan Kellerman
Vom Netzwerk:
gehängten Wäscheleinen und Fernsehantennen trennte. Als ich näher heranfuhr, knurrte ein Hund.
    Ich fuhr zur Straße zurück und parkte. Hier war die Luft nicht im Geringsten frisch. Um die dreißig Grad, trocken, staubig und schwer. Ich betrat die Rezeption. Es gab keinen Empfangstresen, sondern nur einen Spieltisch in einer Ecke, hinter dem ein alter Mann saß, haarlos, korpulent, mit sehr roten Lippen und feuchten, niedergeschlagenen Augen. Er trug ein ausgeleiertes graues T-Shirt und eine gestreifte Hose. Vor ihm lag ein Stapel Taschenbücher: Spionageromane. Auf einer Seite stand eine Sammlung von Arzneifläschchen, daneben eine lose Pipette und ein leerer Tablettenzähler. Der Raum war klein, dunkel und mit Kiefernbrettern verkleidet, die seit langem schwarz waren. Es roch wie bei der ersten Wiederholungsimpfung eines Kindes. An der Rückwand hing ein Münzautomat mit Kämmen, daneben ein weiterer mit Landkarten sowie ein dritter, der Kondome und die Botschaft Bleib gesund! anbot.
    Zur Rechten des alten Mannes stand eine Glasvitrine mit Fotografien, etwa zehn Bilder von Marilyn Monroe in Schwarzweiß. Szenen aus ihren Filmen und Aktaufnahmen. Unter der Montage und quer über die Mitte der Vitrine spannte sich ein pinkfarbener Satinbikini, der mit Nadeln festgesteckt war wie ein Schmetterling. Ein ebenfalls festgepinntes getipptes Papieretikett verkündete: Garantiert echter Badeanzug von M. M.
    »Er ist zu verkaufen«, sagte der haarlose Mann müde. Seine Stimme war eine halbe Oktave tiefer als ein Fagott und klang belegt und keuchend.
    »Interessant.«
    »Wenn das Ihr Ernst wäre, würden Sie ihn kaufen. Ich hab ihn von einem Typen, der bei ihren Filmen mitgearbeitet hat. Ist völlig authentisch.«
    Ich zeigte ihm mein Abzeichen als Polizeiberater. Das Kleingedruckte besagt jedoch, dass ich keine wirkliche Befugnis habe. Wer mir helfen will, macht sich nicht die Mühe, nachzulesen. Wer mir nicht helfen will, würde sich auch nicht von einem richtigen Abzeichen beeindrucken lassen.
    Der alte Mann sah es kaum an. Seine Haut war bleich und stumpf, verklumpt wie abkühlender Talg. Er leckte seine Lippen und lächelte. »Ich hab auch nicht gedacht, dass Sie ein Zimmer haben wollen, nicht mit dem Jackett. Was ist das, Kaschmir?«
    Er streckte eine Hand nach meinem Ärmel aus, und einen Moment lang dachte ich, er würde es berühren. Aber kurz davor zog er sie zurück.
    »Nur Wolle«, sagte ich.
    »Nur Wolle.« Er grunzte. »Nur Geld. Also, was kann ich für Sie tun?«
    »Vor mehreren Monaten hat eine Frau aus L. A. hier eingecheckt und -«
    »Sich umgebracht. Und warum sind Sie jetzt hier? Als es passiert ist, wollte die Polizei kaum mit mir sprechen. Das hätte auch nicht viel Sinn gehabt, weil ich in der Nacht nicht gearbeitet habe, sondern mein Sohn. Und er wusste auch nicht viel - Sie haben den Bericht gelesen, also wissen Sie Bescheid.«
    Ich stritt es nicht ab. »Wo ist Ihr Sohn?«
    »In Florida. Er war nur zu Besuch hier, hat mir einen Gefallen getan, weil ich nicht konnte.« Seine Finger streiften eins der Arzneifläschchen. »Er ist wieder in Tallahassee. Fährt einen LKW für Anheuser-Busch. Worum geht’s denn?«
    »Es müssen noch ein paar Fragen geklärt werden«, sagte ich. »Für die Akten. Hat Ihr Sohn mit Ihnen darüber gesprochen, wer Ms. Doss in jener Nacht eingecheckt hat?«
    »Sie hat selbst eingecheckt - Feigling. Barnett hat gesagt, sie hätte nicht besonders gut ausgesehen, unsicher auf den Beinen, aber sie hat alles selbst gemacht, bezahlt hat sie mit einer Kreditkarte - ihr Burschen habt die Quittung mitgenommen.« Er lächelte. »Nicht unsere übliche Kundschaft.«
    »Wieso?«
    Sein Lachen begann irgendwo in seinem Bauch. Als es seinen Mund erreichte, musste er husten. Der Anfall dauerte zu lange, um belanglos zu sein.
    »Tut mir Leid«, sagte er und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Als wüssten Sie nicht, wovon ich rede.«
    Er lächelte wieder. Ich lächelte zurück. »Sie war nicht arm, nicht geil und nicht betrunken«, sagte er amüsiert. »Nur ein reicher Feigling.«
    »Ein Feigling, weil -«
    »Weil Gott Ihnen die für Sie bestimmte Anzahl von Tagen gewährt. Gehen Sie dann hin und lachen ihm ins Gesicht? Sie war auch so.« Er zeigte auf die Monroe-Vitrine. »Da hat sie so einen Körper, und dann verschwendet sie ihn an Politiker und anderen Abschaum. Der Bikini ist Einiges wert, wissen Sie. Eine Menge Geld, aber niemand hier in der Gegend weiß solche
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher