Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gnadentod

Gnadentod

Titel: Gnadentod
Autoren: Jonathan Kellerman
Vom Netzwerk:
Freundin gewesen. Aber diese Freundschaft war abgekühlt. Aus einem guten Grund.«
    Ich wartete. Sie rührte sich nicht. Dann zuckte plötzlich ihr rechtes Augenlid, und sie schob sich noch ein winziges Stück vom Schreibtisch zurück. »Sie klingen allmählich wie einer dieser übersinnlichen Idioten - reden bedeutungsvoll daher in der Hoffnung, dass jemand es als Weisheit betrachtet. Haben Sie unter großer Anspannung gestanden, Alex? Zu hart gearbeitet? Ich war schon immer der Ansicht, dass Sie sich zu viel -«
    »Folglich wäre Freundschaft die großzügige Interpretation dessen, was Sie dazu veranlasst hat, mit Joanne nach Lancaster zu fahren, aber leider war es ganz und gar nicht so. Joannes Motiv dafür, sich selbst zu zerstören, waren niederschmetternde Schuldgefühle - irgendeine Sünde, die sie sich nicht verzeihen konnte. Richard hat ihr auch nie verziehen, und Sie ebenfalls nicht. Und als Joanne Sie gebeten hat, bei ihr zu sein, hat es Ihnen deshalb meiner Ansicht nach nicht das Geringste ausgemacht, ihrem Ende zuzusehen.«
    Sie presste ihre Lippen aufeinander. Sie griff nach einem der Gegenstände auf ihrem Schreibtisch und umschloss ihn. Es war der Walnuss-Hammer mit der Bronzeplatte am Griff. Eine Auszeichnung. Die Wand war mit Ehrungen gepflastert.
    »Sie dabei zu haben, war Teil der Strafe«, sagte ich. »Wie wenn Familienmitglieder der Opfer eingeladen werden, einer Hinrichtung beizuwohnen.«
    »Das ist lächerlich«, sagte sie. »Ich weiß nicht, was in Sie gefahren ist, aber Sie reden Quatsch - bitte gehen Sie.«
    »Judy -«
    »Sofort, Alex, oder ich rufe Leonard.«
    »Wenn ich gehe, ändert das nichts. Nicht für Sie, nicht für Becky. Weiß Bob Bescheid? Wahrscheinlich nicht alles, nehme ich an, weil er seine Wut direkter zum Ausdruck gebracht hätte, unmittelbarer. Er hätte es nicht auf sich beruhen lassen. Aber er ist wegen irgendetwas wütend, also muss er etwas wissen.«
    Sie nahm den Hammer noch fester in die Hand und fuchtelte damit vor mir herum. »Alex, das ist Ihre letzte Chance, dieses Zimmer wie ein Gentleman zu -«
    »Joanne und Becky«, sagte ich. »Wann ist es passiert?«
    Sie schoss vorwärts und richtete sich halb auf, wobei der Hammer auf den Schreibtisch herabsauste. Aber anstatt senkrecht aufzukommen, verdrehte sich das Holz, entglitt ihr, schlitterte über das Leder und schob einen Briefbeschwerer über die Kante, der mit einem kaum hörbaren dumpfen Geräusch auf dem Teppich landete.
    Ein erbärmliches Geräusch. Vielleicht war das der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, vielleicht wollte sie aber auch wirklich reden.
    Ihre Finger krümmten sich zu Klauen. Sie presste sie gegen ihre Brust, als wollte sie sich das Herz herausreißen. Plötzlich ließ sie sie wieder sinken und setzte sich wieder. Ihre Augen waren feucht geworden und glühten, ihr Mund zitterte so sehr, dass es eine ganze Weile dauerte, bis sie sprechen konnte.
    »Sie Mistkerl«, sagte sie. »Sie gottverdammter, gottverdammter Mistkerl. Ich rufe Leonard.« Aber das tat sie nicht.
     
    Wir saßen da und starrten einander an. Ich versuchte, so verständnisvoll auszusehen, wie ich mich fühlte. Ich hatte mich selbst davon überzeugt, dass dies das Richtige wäre, doch nun fragte ich mich, ob es nicht lediglich dazu diente, meine eigene Besessenheit zu befriedigen. Noch einen Moment länger, und ich wäre vielleicht aufgestanden und gegangen. Aber sie stand als Erste auf, durchschritt das große, schöne Zimmer und schloss die Tür ab. Als sie sich wieder hinsetzte, fiel ihr Blick auf den Hammer.
    In diesem Moment erinnerte sie mich an das Arztgeheimnis. Sie wiederholte ihre Warnung.
    Ich sagte ihr, dass ich natürlich nie darüber reden würde.
    Doch selbst dann sprach sie nur theoretisch darüber, ebenso wie Richard es getan hatte. Ich sah, dass sie mich am liebsten geohrfeigt hätte, während sie immer wieder von ihrer Wut übermannt zu werden drohte.
    »Wenn Sie nun selbst Vater wären?«, fragte sie. »Warum sind Sie das eigentlich nicht? Das wollte ich Sie schon immer fragen. Sie arbeiten mit den Kindern anderer Leute, hatten aber nie ein eigenes.«
    »Eines Tages vielleicht«, sagte ich.
    »Dann ist es also kein physisches Problem? Sie verschießen keine Platzpatronen?« Ich lächelte.
    »Das ist eine Art von Arroganz, Alex. Anderen Leuten eine Predigt darüber zu halten, wie sie ihre Kinder aufziehen sollen, wenn Sie keine eigene Erfahrung damit haben.«
    »Vielleicht.«
    »Na klar, pflichten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher