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Glutroter Mond

Glutroter Mond

Titel: Glutroter Mond
Autoren: Narcia Kensing
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kurzen Moment streift mich kühle Luft. Ich krieche auf allen Vieren in den Raum hinter der Tür, aber er ist leer. Ich habe die ganze Zeit wie eine Besessene gegen die Tür getreten, obwohl niemand dahinter war.
    »Sie ist weg«, sagt Cade. Überraschung liegt in seiner Stimme. »In dieser Zelle hat die Mutter gesessen.«
    »Was ist mir ihr?«, kreische ich fast hysterisch.
    »Jemand muss sie herausgeholt haben. Vielleicht war sie im Labor bei der Maschine, als der Sprengsatz los ging.«
    Cade muss nicht weitersprechen. Ich weiß, was das bedeutet. Der Maschinenraum befindet sich hinter der Einsturzstelle. Tiefe Verzweiflung schüttelt mich einen Augenblick lang, dann fällt mir die zweite Tür ein.
    »Mach die auf!« Ich zeige mit dem Finger darauf. Meine Augen tränen. Wegen des Qualms und aus Verzweiflung.
    »Dafür haben wir keine Zeit mehr!« Obwohl er das sagt, kommt er meinem Wunsch dennoch nach. Er tritt ebenso schwungvoll dagegen wie beim ersten Mal. Wieder mischt sich die frische Luft aus dem dahinter liegenden Raum mit dem Qualm im Flur, einen Augenblick lang kann ich frei atmen. Ich stürme in die Zelle, sehe mich um und erblicke ein Mädchen verängstigt und zusammengekauert an der hinteren Wand. Sie hat die Arme um ihre Beine geschlungen, ihr Gesicht ist tränennass. Ihr blondes Haar ist zersaust und ungekämmt.
    Ohne zu zögern gehe ich auf sie zu, packe ihre kleine kalte Hand und zerre sie auf die Beine. Sie ist einen Kopf kleiner als ich. Ich schätze sie auf nicht älter als dreizehn. Ich bin unendlich erleichtert, jemanden lebend gefunden zu haben und ignoriere Cade, der hinter mir zur Eile antreibt.
    »Ich bringe dich hier heraus«, sage ich zu der Kleinen, die sich vollkommen apathisch von mir auf den Flur bringen lässt.
    Plötzlich vibriert die Erde, wir verlieren das Gleichgewicht. Das Mädchen stößt einen spitzen Schrei aus. Obwohl ich selbst total erschöpft bin, lasse ich sie auf meinen Rücken klettern und trage sie Huckepack.
    Cade schiebt uns beide an und bugsiert uns die Treppe hinauf. Wir müssen durch dichten Rauch hindurchtauchen, ehe ich mit den Händen endlich die Spalte ertaste, die ich zuvor in den Trümmerhaufen gegraben hatte. Das Mädchen lässt sich von meinem Rücken herunter gleiten und schlüpft hinter mir hindurch, zurück ins Freie. Cade folgt uns dicht auf den Fersen.
    Vor dem Quartier bietet sich mir ein wenig erbaulicher Anblick. Noch immer wird gekämpft, zwei Körper liegen leblos am Boden. Einer davon gehört zu Maureen. Ich spüre kein Mitleid, obwohl ich mir in diesem Moment wie ein schlechter Mensch vorkomme.
    Wo ist Neal? Ich reiße meinen Kopf herum und suche die Umgebung mit den Augen ab, kann ihn jedoch nicht sehen. Es ist zu dunkel. Schleierwolken haben sich vor den glutroten Mond geschoben - oder ist es Rauch? Das Mädchen greift wieder nach meiner Hand, sie zittert. Im Augenwinkel sehe ich, wie jemand auf uns zuspringt. Erschrocken weiche ich zurück. Cade fällt den Angreifer von der Seite an, stößt gegen ihn und reißt ihn von uns weg. Ich erkenne, dass es ein Mann im schwarzen Ganzkörperanzug ist. Einer der Obersten. Hat er mich töten wollen? Weshalb? Oder hat er mich mit einem Acrai verwechselt?
    Der Mann richtet sich wieder auf und stürzt auf Cade zu. Erst jetzt bemerke ich, dass er ein langes Messer in der Hand hält. Cade ist unbewaffnet. Er weicht dem Hieb aus, weil er sich schneller bewegt als sein Angreifer. Was ich im Gesicht des Acrai lese, schockiert mich so sehr, dass ich völlig vergesse, auf das Geschehen um uns herum zu achten. Er hat einem Menschen nie zuvor weniger ähnlich gesehen. Seine gefletschten Zähne, die orange glühenden Augen und das wirre Haar lassen ihn wie ein Wesen wirken, das nicht von dieser Welt stammen kann. Ich habe es zuvor gewusst, aber nie wahrhaben wollen. Ich empfinde eine seltsame Mischung aus Abneigung, Faszination und Angst.
    Meine Hand schließt sich fester um die des Mädchens. Ihre Nähe gibt mir Halt, weil ich fürchte, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Cade und sein Gegner schlagen aufeinander ein, wobei der Acrai der Messerspitze mehrfach nur knapp entgeht. Dennoch ist er binnen Sekunden mit Schnitten übersät. Ich halte die Luft an, als ich beobachte, wie Cade schließlich nach der Klinge greift - mit bloßer Hand. Er stößt einen Schmerzschrei aus, rotes Blut tropft von seinen Fingern. Aber es gelingt ihm, dem Obersten mit roher Gewalt und ohne Rücksicht auf eigene Verletzungen
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