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Die Schnelligkeit der Schnecke

Die Schnelligkeit der Schnecke

Titel: Die Schnelligkeit der Schnecke
Autoren: Marco Malvaldi
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Prolog
    Wenn das Chaos sein sollte, dann musste Italien das schönste Land der Welt sein. Dies dachte Koichi Kawaguchi, kaum dass er von Bord des Flugs JL3476 gegangen war, welcher ihn am Flughafen Narita aufgenommen und, unverständlicherweise unter Applaus der im Flugzeug anwesenden Italiener, auf einer der Landebahnen von Rom Fiumicino wieder abgesetzt hatte.
    Koichi Kawaguchi war sehr besorgt gewesen, da er Japan zum ersten Mal verließ, und das nicht nur, weil er an einem Kongress teilnehmen sollte, sondern ganz generell. Außerdem hatte man ihm gesagt, dass Italien zwar ein wunderschönes Land sei, aber extrem chaotisch und desorganisiert. Obendrein war Koichi auch noch ein Mensch von geradezu pathologischer Furchtsamkeit. Folglich hatte ihm die Vorstellung, sich allein auf einem fremden Flughafen zu befinden, in einem Land, dessen Sprache er nicht beherrschte, und einen Inlandsflug nehmen zu müssen, der nur zwei Stunden nach der Landung aus Tokyo abgehen sollte, etwa einen Monat lang schlaflose Nächte bereitet.
    Doch es war alles sehr viel besser gelaufen als befürchtet.
    So hatte er schon beim Abflug in Narita einige Passagiere identifiziert, die ebenfalls zum Kongress wollten. Auch wenn er sie nicht persönlich kannte, hatte Koichi ein paar junge Leute gesehen, die neben ihrem Gepäck auch eine Plastikrolle zur Aufbewahrung von Plakaten über der Schulter trugen, was sie für ihn sofort als Personen kenntlich machte, die zu einem wissenschaftlichen Kongress unterwegs waren.
    Junge Leute haben nämlich bei einem Kongress selten einen Vortrag oder eine kleine Rede zu halten. Normalerweise wird für sie eine sogenannte »Postersession« organisiert, das heißt, es wird eine bestimmte Zeitspanne reserviert, in der jeder junge sogenannte Wissenschaftler persönlich jedem Kongressteilnehmer, der vor seinem Poster stehen bleibt, in sehr informeller Art und Weise erklärt, mit welchem Forschungsgebiet er sich beschäftigt hat. Das besagte Poster wird normalerweise von seinem Besitzer sorgsam zusammengerollt in jenen Kunststoff-Plakatrollen aufbewahrt, von denen oben bereits die Rede war und die normalerweise nicht unbemerkt an einem vorübergehen. Ein Umstand, der, nebenbei gesagt, nicht etwa ihrem eleganten Design geschuldet ist, sondern eher ihrer abartigen Funktionalität: Diese Utensilien sind nämlich extra so konstruiert, dass sie sich unversehens in jeden sich ihnen bietenden Zwischenraum schieben, einschließlich der Beine ihrer milchgesichtigen Eigentümer und deren unmittelbarer Nachbarn. Die unvorhersehbare Dynamik dieses Objekts geht folglich oft mit einem Korollar aus Stolperern, Beinahestürzen und ungewollten Gepäckverlusten einher, die in sehenswerter Weise die Monotonie eines Flughafenterminals durchbrechen.
    Über ihre lästigen Auswirkungen auf mechanischer Ebene hinaus hatten die Plakatrollen es Koichi also ermöglicht, potenzielle Kongressteilnehmer zu identifizieren und den im Flugzeug aufgeschnappten Gesprächsfetzen zu entnehmen, dass sie zu genau demselben Kongress reisten wie er.
    Daher hatte er sich in einer typisch japanischen Mischung aus Furchtsamkeit und Entschlossenheit vorgenommen, die Gruppe seiner Landsleute nicht aus den Augen zu verlieren und ihnen diskret zu folgen, ohne sich jedoch schon vorzustellen. Es war schließlich seine erste Auslandsreise, und er wollte sie so weit wie möglich für sich alleine genießen. Nichtsdestotrotz war er fest entschlossen, seinen Landsleuten nicht auf den Fersen zu folgen, sondern sie als Leithund zu benutzen, ganz besonders bei der Ankunft in Fiumicino wo, so war er überzeugt, er sich einem dantesken Chaos gegenübersehen würde.
    Stattdessen hatte er den römischen Flughafen überraschend ruhig gefunden. Keine Spur zu sehen von jener strömenden Schar lärmender Menschen, durchsetzt mit Horden von auf fernöstliche Geldbörsen lauernden Taschendieben, die seit einigen Wochen seine albtraumhaften Phantasien heimsuchten. Kein Schrei, kein Lärmen und sogar eine ansehnliche Zahl von überraschend kleinen Menschen. Im Verhältnis zu dem Gedränge, in das er jeden Morgen in der U-Bahn-Station Shinjuku in Tokio eintauchte, verhielt sich dies hier wie die Anzahl der Fußballer auf einem Spielfeld zur Menge der Zuschauer in der Fankurve.
    Der erste Eindruck des Flughafens war ziemlich enttäuschend, ja, sogar beinahe etwas provinziell. Ein paar wenige, hässliche Geschäfte, die den ersten Stock belegten, kein bisschen einladend die
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