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Die Schnelligkeit der Schnecke

Die Schnelligkeit der Schnecke

Titel: Die Schnelligkeit der Schnecke
Autoren: Marco Malvaldi
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alle Lehrbeauftragten an Universitäten, ungeschriebenen Verpflichtungen nachzukommen hatten, denen sie sich unmöglich entziehen konnten; dazu gehörte zum Beispiel, dass man, wenn der Fachbereich einen Kongress veranstaltet, inoffiziell, aber zwingend Teil des Organisationskomitees war. Was in die Praxis übertragen bedeutete, dass man sich um die Ankunft und die Bedürfnisse der ausländischen Teilnehmer des Kongresses zu kümmern hatte.
    Daher waren die drei im Rahmen des »XII. International Workshop on Macromolecular and Biomacromolecular Chemistry« von der verantwortlichen Verwaltung des Fachbereichs Chemie dazu verpflichtet worden, die verschiedenen Gruppen ausländischer Professoren und Studenten am Flughafen in Empfang zu nehmen und zum Hotel zu begleiten. Nachdem sie ernsthafte skandinavische Professoren eingesammelt, die Koffer älterer amerikanischer Wissenschaftlerinnen geschultert, Gepäck und Kinder hysterischer spanischer Forscherinnen wiedergefunden und rudelweise japanische Experten zum geräumigen Autobus geführt hatten, der sie ins Hotel bringen würde, waren die drei jetzt beinahe am Ende ihrer Mission angelangt. Es fehlte nur noch eine einzige Person, die mit dem letzten Flug ankommen sollte, dann konnten sie endlich nach Hause gehen. Wie es häufig geschieht, wenn das Ende einer undankbaren Aufgabe näher rückt, waren sie vollkommen erledigt.
    »Na ja, hoffen wir mal, dass der Typ aus Holland bald kommt«, sagte einer der anderen beiden in dem Versuch, das Gespräch vom Stipendium abzulenken, das mit Sicherheit auf die wenig angenehmen Konsequenzen für sie alle drei gekommen wäre. Im Lauf des Tages hatten sich ihre Gespräche immer wieder um ihre Situation als wissenschaftliche Angestellte an der Universität gedreht. Im Grunde waren sie zu dem Schluss gekommen, dass die Zeitarbeiter des Wissenschaftsbetriebes für Universität und Ministerium mehr oder weniger so etwas wie die Bakterienflora für den Darm waren: anders gesagt, Parasiten. Gute Parasiten natürlich; notwendig für das reibungslose Funktionieren des Organismus (insofern als es die Zeitarbeiter sind, die wirklich im Labor stehen), aber doch nur mit den letzten Resten der zugeführten Ressourcen am Leben gehalten und letztlich objektiv gesehen in einer Scheißsituation.
    »Kennt irgendeiner von euch diesen Snijders?«, fragte der Dritte. »Nicht, dass wir ihm dann durch den ganzen Flughafen nachjagen müssen wie dem Ungarn vorhin, oder?«
    »Nein, nein«, sagte der Große. »Ich kenne ihn, ich hab ihn schon auf ein paar Kongressen gesehen. Den kann man unmöglich verwechseln.«
    »Wie meinst du das?«
    »Wirst es gleich sehen.«
    »Jetzt gleich, guck mal«, sagte der Dritte lächelnd. »Sie sind angekommen. Da tut sich was.«
    »Prima! Na los, schnappen wir uns den Deutschen, und dann ab nach Hause.«
    »Der ist Holländer.«
    »Holländer, Schwede, Hauptsache er ist der Letzte.«
    Als sie am Terminal angekommen waren, hob der Große ein Schild hoch, auf dem stand (handschriftlich, angesichts der beschränkten Mittel) »XII. International Workshop on Macromolecular and Biomacromolecular Chemistry«. Beinahe sofort löste sich aus der Gruppe der Fluggäste, die aus dem Terminal kamen, ein eher kleiner Kerl, nur knapp eins siebzig, Mitte vierzig, in einer militärgrünen K-Way-Regenjacke, die sich ganz besonders vom orangefarbenen T-Shirt darunter abhob, das überaus nachlässig in ein Paar ausgesprochen abgetragene, gürtellose Jeans gestopft war, die mindestens zehn Zentimeter über den Knöcheln endeten, welche ihrerseits aus einem Paar hochtechnologischer Trekkingsandalen ragten. Der Typ, der, abgesehen von einem kleinen Rucksack, ohne Gepäck angereist zu sein schien, kam auf die jungen Männer zu und begrüßte sie, indem er kurz die Hand hob.
    »Guten Tag, Professor Snijders. Hatten Sie eine angenehme Reise?«, fragte der Große auf Italienisch.
    »Ja, ja. Gute Reise, wirklich«, antwortete der Typ ebenfalls auf Italienisch, allerdings mit einer seltsam harten Aussprache.
    Antonius Celsius Jacopus Snijders (für seine Freunde, also eine große Anzahl von Menschen, einfach nur Anton) sah eindeutig nicht so aus, wie jemand, der als Universitätsprofessor arbeitete. Um die Wahrheit zu sagen, sah er nicht einmal aus wie jemand, der überhaupt irgendeiner Arbeit nachging oder auch nur eine Minute seines Lebens jemals gearbeitet hatte. Dennoch war Anton Snijders, so seltsam seine äußere Erscheinung auch anmuten mochte,
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