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Die Schnelligkeit der Schnecke

Die Schnelligkeit der Schnecke

Titel: Die Schnelligkeit der Schnecke
Autoren: Marco Malvaldi
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ein exzellenter Dozent und guter Forscher, in der Lage, eine Gruppe von etwa zehn Wissenschaftlern zu leiten, die in ehrenvoller und eigenständiger Weise Forschung betrieben.
    »Sie sprechen Italienisch?«, erkundigte sich einer der beiden Doktoranden, und stellte damit aus lauter Höflichkeit eine Frage, die offensichtlich überflüssig war.
    »Meine Frau ist Italienerin«, antwortete Snijders routiniert auf das, was eigentlich die korrekte Frage gewesen wäre, also: »Wie kommt es, dass Sie Italienisch sprechen?« Dass sie nur höchst selten direkte Fragen stellten, war etwas, das ihm an den Italienern immer wieder auffiel. Der junge Mann fand es ungewöhnlich, dass ein Niederländer Italienisch sprach, hätte es aber ungehörig gefunden, ihn direkt zu fragen: »Warum sprechen Sie Italienisch?« Er selbst hätte sich darüber keine Gedanken gemacht – in der Tat machte sich Snijders nur äußerst selten Gedanken darüber, was sich gehörte oder nicht –, die Italiener dagegen schon. Seltsam. Er konzentrierte sich auf einen der beiden jungen Männer, der gerade dabei war, ihn über logistische Einzelheiten aufzuklären.
    »Das Hotel ist mit dem Taxi eine Viertelstunde von hier entfernt. Wir rufen Ihnen sofort eines.«
    »Nein, danke. Ihr braucht mir keins zu rufen.«
    »Wartet schon jemand auf Sie?«, fragte einer der drei.
    »Nein, ich wollte zu Fuß zum Hotel gehen.«
    Die drei sahen sich an. Ihren Gesichtern nach zu urteilen, war klar, dass sie glaubten, sich verhört zu haben.
    »Sehen Sie, Herr Professor«, sagte einer der drei mit Betonung auf »Professor«, vielleicht um ihn daran zu erinnern, dass man normalerweise von einem Intellektuellen eine eher mangelhafte körperliche Form erwartete, »bis zum Hotel sind es zehn Kilometer.«
    »Ich weiß«, sagte Snijders, immer noch lächelnd. »Ich habe jetzt drei Stunden gesessen. Ich habe Lust, mir ein bisschen die Beine zu vertreten.«
    »Sind Sie sicher? Das sind zehn Kilometer. Da brauchen Sie zwei Stunden.«
    »Ich hab’s nicht besonders eilig.«

Anfang
    Die Szene hätte an einen religiösen Ritus denken lassen können. Was seltsam war, weil sie sich im Freien zwischen den Tischen einer Bar abspielte. Der Offiziant war ein Typ in den Dreißigern, groß, mit einer ausgeprägten Hakennase und einem leicht arabisch aussehenden Gesicht. Mit feierlicher Ruhe bewegte er sich systematisch und gemessenen Schrittes zwischen Tamarisken und Tischchen hindurch. Im Arm trug er wie ein Kind einen kleinen Laptop, dessen Bildschirm er nicht aus den Augen ließ. Dabei hellte sich sein Gesichtsausdruck abwechselnd auf und verfinsterte sich, während er den Irrgarten aus Stühlen und Sonnenschirmen durchkämmte. Er musste mit dem Ort vertraut sein, denn er bewegte sich, ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen, mit traumwandlerischer Sicherheit zwischen den verschiedenen Einrichtungsgegenständen hindurch. Manchmal, an Stellen, die in der Liturgie möglicherweise von besonderer Bedeutung waren, vollzog er mit dem Computer seltsame, fast kreuzförmige Bewegungen, während seine Lippen sich im leisen Gebet bewegten. Von Weitem drangen nur wenige, unzusammenhängende Fragmente seiner Rede ans Ohr, so was wie: »Ach, verdammter Mist, ist denn das die Möglichkeit, bis vor einer Sekunde war hier doch noch Empfang.«
    Anstelle der Beginen, die üblicherweise die Kultstätten bevölkerten, war eine rothaarige Schönheit bei ihm, die ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift Il BarLume trug. Den Rest der Kleidung nahm man nicht wirklich wahr, aber das T-Shirt blieb in Erinnerung. Na gut, eigentlich nicht das  T-Shirt. Die junge Frau beobachtete den mutmaßlichen Priester skeptisch und mit großer Besorgnis und machte dabei Kreuzchen auf ein Blatt Papier, auf dem der Außenbereich der Bar schematisch aufgezeichnet war.
    Unweit des Offizianten verfolgten vier seltsame Messdiener mit ruhigen und gelassenen Mienen dessen Bemühungen. Seltsam aufgrund ihres Alters, weil Messdiener ja normalerweise zwischen zehn und vierzehn Jahren alt sind, während die fraglichen Herrschaften alle so um die siebzig gewesen sein dürften. Und seltsam aufgrund der Sprache: Auch wenn es normal ist, dass Messdiener während der Messe tuscheln, so hätte doch das Vokabular des alten Herrn mit der Baskenmütze und dem Pullover sie auf Lebenszeit vom Messdienst ausgeschlossen. Manchmal drehte sich der Priester zu ihnen um und bedachte sie mit einem bitterbösen Blick, doch ganz wie echte Messdiener beachteten
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