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Die Schnelligkeit der Schnecke

Die Schnelligkeit der Schnecke

Titel: Die Schnelligkeit der Schnecke
Autoren: Marco Malvaldi
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Sie ...«
    Es war eine ängstliche Stimme, höflich, kaum zu hören. Aber mehr als ausreichend, um den Bann zu brechen.
    Die Stimme gehörte einem der beiden Mädchen, die draußen saßen, an dem Tisch neben den Tamarisken. Sie war hereingekommen und blickte die Gruppe aus einem Paar riesengroßer blauer Augen an, so wie die aus den japanischen Zeichentrickfilmen. Hinter ihr folgte ihre Freundin. Ihr Gesichtsausdruck war der eines unschuldigen kleinen Mädchens, ihr Dekolleté dagegen wirkte eindeutig sehr mütterlich. Massimo sah das erste Mädchen fragend-höflich an, während die Alten sich hemmunglos an ihrer Freundin weideten.
    »Ich wollte Sie um einen Gefallen bitten. Ich müsste mal ins Internet, aber an unserem Tisch funktioniert es nicht besonders gut. Ähm ... und weil ich gesehen habe, dass das Signal am Nebentisch sehr stark ist, wollte ich fragen, ob es möglich wäre, dass wir die Tische tauschen.«
    Es folgte ein Augenblick greifbarer Beschämung.
    »Das darfst du mich nicht fragen. Frag nur diese Herren hier, es ist ihr Tisch«, sagte Massimo mit einem Hauch Perfidie und zeigte dabei mit einem Kopfnicken in Richtung der Pensionäre.
    Das Mädchen, das mit mysteriöser weiblicher Weisheit in Ampelio den Anführer ausgemacht hatte, wendete sich diesem zu und lächelte ihn an.
    »Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn wir tauschen?«
    Das Ganze untermalte sie mit einem überzeugenden Augenklimpern. Ampelio stammelte beschämt etwas vor sich hin, während Rimediotti ganz galant antwortete: »Ach du lieber Gott, Signorina, da brauchen Sie doch nicht mal fragen. Bitte, das fehlte ja gerade noch.«
    »Wenn es Ihnen wirklich nichts ausmacht ...«
    »Ach, woher denn«, sprang ihm Aldo bei, »das ist doch kein Problem.«
    »Wirklich nicht? Na dann, vielen Dank.«
    Das Mädchen bedankte sich erneut mit einem breiten Lächeln und ging mit der Freundin hinaus.
    Stille folgte auf diese kleine Szene. Absolute Stille, denn Tiziana hatte auch das Radio ausgeschaltet. Die Alten, die eben noch wie ein Rudel weitsichtiger Wölfe über Massimo hergefallen waren, blickten nun jeder in eine andere Richtung und erinnerten ein wenig an eine Gruppe einander Unbekannter, die auf den 31er Bus warteten.
    Massimo hingegen nahm ein Tablett und fing geschwind an, es zu füllen. Er beugte sich unter die Theke, um einen Chinotto herauszuholen, und sagte dabei: »Tiziana, einen normalen Espresso und einen corretto al sassolino. Und danach erinnere mich daran, dass ich zum Optiker muss.«
    »In Ordnung. Hast du Probleme?«
    »Nein, nein. Ich will nur hin, um mir ein paar blaue Kontaktlinsen zu kaufen. Gut möglich, dass mir dann beim nächsten Mal jemand zuhört, wenn ich um etwas bitte und dabei mit den Augen klimpere.«
    »Vielleicht leihst du dir auch gleich ein schönes Paar Titten«, sagte Ampelio mürrisch. »Du fängst eh schon an, so bescheuert zu argumentieren wie die Frauen.«
    »Und Sie, was möchten Sie, Pilade? Einen Amaro?«, fragte Massimo ungerührt von unter der Theke her.
    »Sieh mal, Massimo«, fuhr Ampelio unbeirrbar fort, »das Problem ist doch Folgendes: Auch mit Kontaktlinsen, falschen Titten und wer weiß, was sonst noch, bist du hässlich wie die Nacht und bleibst du hässlich wie die Nacht.«
    »Ich weiß«, sagte Massimo, während er hinter der Theke wieder auftauchte. »Letztlich liegt’s in der Familie. Alle hässlich wie die Nacht, seit Generationen schon. Mit ein, zwei Lichtblicken wie Tante Enza.«
    Massimo und sein Großvater sahen sich an und fingen beide an zu kichern.
    Als Enza Viviani nei Barontini, Ampelios Schwester und Tante von Massimos Mutter, auf die Welt gekommen war, hatte Signora Ofelia Viviani geborene Medori (Urgroßmutter von Massimo und Mama von Ampelio, in der ganzen Familie bekannt als »Ofelia von Windsor« wegen des Goldschmucks und der vielen Ringe, die sie zu festlichen Gelegenheiten trug) von der ganzen Verwandtschaft und verschiedenen Bekannten Besuch erhalten, darunter auch Romualdo Griffa, Vater von Aldo und langjähriger Freund der Familie. Romualdo, nachdem er sich über die Wiege gebeugt und dem Säugling einen Finger so dick wie ein Baguette hingehalten hatte, hatte sich aufgerichtet und mit dröhnender Stimme verkündet: »Verdammt, Ofelia, Kompliment. Das ist wirklich ein hübscher Junge.«
    »Hör mal, Romualdo, es ist ein Mädchen.«
    »Ehrlich?« Ungläubig hatte sich Romualdo daraufhin noch einmal über die Wiege gebeugt. »Verdammt, das arme Mädchen.«
    Um in
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