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Die Schnelligkeit der Schnecke

Die Schnelligkeit der Schnecke

Titel: Die Schnelligkeit der Schnecke
Autoren: Marco Malvaldi
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Restaurant-Pizzeria-Cafeteria und die beiden Bars, die sich gegenseitig das Recht streitig machten, den Hunger des soeben gelandeten Wandersmanns zu stillen.
    Und dennoch gefiel ihm der Ort überraschenderweise.
    Ihm gefiel die unübersehbare Gelassenheit, mit der die Italiener ihren Geschäften nachgingen, das Lächeln, mit dem der Polizeibeamte seinen Pass kontrolliert hatte und ihm, seiner Tätigkeit am Flughafen zum Trotz, in ziemlich holprigem Englisch einen angenehmen Aufenthalt gewünscht hatte. Die unerklärliche, aber doch unübersehbare Genugtuung des Barista, bei dem er einen Kaffee bestellt hatte, als sei es genau das Richtige für einen Mann von Welt, um diese Zeit in dieser Bar einen Kaffee zu bestellen. Und der Kaffee, schwarz und stark, serviert in einer winzigen, bereits vorgewärmten Tasse, war hervorragend.
    Andere Dinge gefielen ihm weniger, etwa die Toiletten. Er hatte sagen hören, die Italiener seien das sauberste Volk Europas. Folglich hatte er sich bei dem Gedanken ertappt, dass die Toiletten im Flughafen wohl für Deutsche gedacht sein mussten. Weiträumig, ohne Zweifel, aber mit einem unglaublich nassen und schmuddeligen Boden und einem Wasserhahn, der kein Maß kannte – wenn er weniger als halb aufgedreht war, gab er nur hier und da alle zwei oder drei Sekunden ein armseliges Tröpfchen frei, weiter aufgedreht hingegen vermittelte er den Eindruck, man habe eine Staumauer geöffnet. Und dann die Toilette mit der unbeheizten Klobrille. In Tokio verfügten alle öffentlichen Toiletten über beheizte Klobrillen. Offensichtlich herrschten in Italien und Japan unterschiedliche Auffassungen darüber, bei welchen Behältnissen das Vorwärmen angebracht war.
    Nachdem er sich in den Check-in-Bereich begeben hatte, sah Koichi, dass das Flugzeug, welches er nur zwei Stunden nach der Landung des Fluges aus Tokio hätte besteigen sollen, mit zwei Stunden komfortabler Verspätung angekündigt war.
    Dies heiterte ihn nun endgültig auf. Es beruhigte ihn sogar dermaßen, dass er zu einem bestimmten Zeitpunkt beschloss, vollkommen im Einklang mit dem italienischen Geist, zur Bar zurückzukehren und noch einen Kaffee zu trinken.
    »Einen Kaffee bitte. Und was nehmt ihr?«
    »Für mich auch einen Kaffee.«
    »Für mich einen Orangensaft. Wenn ich jetzt noch einen Kaffee trinke, krieg ich das Zittern.«
    Heute Morgen, als der Barista am Flughafen Galilei in Pisa sie zum ersten Mal erblickt hatte, hatten die drei jungen Männer entschieden besser ausgesehen.
    Jetzt, um fünf Uhr nachmittags, nach sieben Stunden Warterei vor dem einzigen Terminal des Flughafens, wirkten sie ziemlich mitgenommen. Die Hemden bauschten sich trotz ständigen Zurückstopfens immer wieder in resignierten, asymmetrischen Beulen aus den Hosenbünden, und einer der drei wies zwei ausgedehnte Schweißflecken unter den Achseln auf. Die Gesichter sahen erschöpft aus, und das Gespräch bewegte sich stockend zwischen Grunzen und unbestimmtem Jammern.
    »Das ist jedenfalls das letzte Mal, dass ich mich so verarschen lasse.«
    »Ja klar. Letztes Jahr hast du das Gleiche gesagt. Abgesehen davon ist es sowieso das letzte Mal, dass wir uns so verarschen lassen. Ich weiß ja nicht, wie’s bei euch aussieht, aber mein Stipendium wird bestimmt nicht wieder verlängert.«
    Der so sprach, war der Älteste – so unpassend dieser Begriff auch für Dreißigjährige erscheinen mag – der drei jungen Männer, ein außergewöhnlich hochgewachsener Kerl mit breiten Schultern, einem scharf geschnittenen Gesicht und diversen Ringen im rechten Ohrläppchen. Das Stipendium, auf das er sich bezog, war nichts anderes als die monatlichen 1238,50 Euro, die ihm im Vorjahr der Fachbereich für Chemie und Industriechemie der Universität Pisa großzügigerweise für ein Jahr zugesprochen hatte, nachdem er den Doktortitel erworben hatte und nun darauf wartete, dass – wie sein Professor zu ihm gesagt hatte – »bessere Zeiten heranreiften, um zu sehen, ob man nicht etwas ein bisschen Längerfristiges für dich finden kann«, oder anders gesagt – wie er es selbst ausdrückte –, »dass irgendeiner von den alten Säcken, die nur so tun, als würden sie sich für uns interessieren, mitkriegt, dass er inzwischen hundertdreißig Jahre alt ist und sich aufs Land zurückzieht, um Rüben anzubauen, und einen Platz freimacht, verdammte Hacke.«
    Die anderen beiden Kameraden hingegen waren noch Doktoranden, und die Position aller drei brachte es mit sich, dass sie, wie
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