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Weiße Nächte, weites Land

Weiße Nächte, weites Land

Titel: Weiße Nächte, weites Land
Autoren: Martina Sahler
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Prolog
    Zarskoje Selo bei Sankt Petersburg, Katharinenpalast, Juli 1765
    S ie kommen zu Tausenden, Kolja.« Katharina blickte aus dem geöffneten Fenster ihres Schlafgemachs in den Schlosspark, als könnte sie die anreisenden Menschen von ihrem Platz aus sehen.
    Die milde Nachtluft trug den Duft von Rosen und Lavendel mit sich und vertrieb den süßlichen Schweißgeruch, der sich nach ihrem Liebesspiel in den Seidenlaken, den Volants und den Brokatvorhängen des Prunkbetts verfangen hatte.
    Ein Schimmer wie von Perlmutt erhellte das Zimmer, beleuchtete auf eine unwirklich scheinende Art die mit Gold überzogenen Stuckarbeiten der Decke und die bernsteinfarbenen Intarsien des Toilettentischs.
    Die Zarin liebte die Zeit der Weißen Nächte in Sankt Petersburg, doch mehr noch als rauschende Ballnächte in den Palästen genoss sie die intimen Rendezvous, die sie in ihren privaten Gemächern im Katharinenpalast zelebrierte.
    Nikolaj Petrowitsch wusste, welches Privileg ihm zuteilwurde, indem er auserwählt worden war, Russlands Alleinherrscherin beizuwohnen.
    Andererseits erschien die Wahrscheinlichkeit, zu einem Gespielen der Kaiserin erkoren zu werden, nicht gering, wenn man wie Nikolaj mit einem makellosen Gesicht und einem Körper wie eine griechische Statue gesegnet war.
    Weit über Russlands Grenzen hinaus lästerte man in den Wirtsstuben grölend, bei den Banketten hinter vorgehaltenem Fächer, dass Katharina, die im Mai ihren sechsunddreißigsten Geburtstag gefeiert hatte, ihre Sinnlichkeit und Wollust wahrlich keinen Zwängen unterwarf. Sie nahm sich, was ihr gefiel, und genoss die Kunstfertigkeiten der besten Liebhaber – neben den Gefälligkeiten ihres ständigen Begleiters Grigorij Orlow, dem kein noch so ehrgeiziger Günstling den Rang ablaufen konnte, wie man in den Kreisen der jungen Offiziere munkelte.
    Nikolaj nippte an seinem Champagnerglas, während er quer auf dem riesigen Bett der Zarin inmitten zerwühlter Tücher lag, die Ecke eines Überwurfs mit flandrischer Spitze nachlässig über die Hüfte gezogen, den Kopf seitlich auf eine Hand gestützt. Sein Oberkörper glänzte im hereinfallenden Licht, die Muskelstränge entlang seiner Oberschenkel verliefen wie von einem Bildhauer gemeißelt.
    »Sie folgen Eurem Ruf, Kaiserliche Hoheit. Ihr habt ihnen den Himmel auf Erden versprochen«, sagte Nikolaj.
    Katharina lachte, ohne sich umzudrehen. Tief sog sie die Nachtluft ein.
    Nikolaj betrachtete ihre festen Schultern, den Schwung ihrer Wirbelsäule, die Rundung ihrer Hüfte, die kräftigen Schenkel. Sie trug nur ein dünnes, bodenlanges Negligé mit schmalem Nerzbesatz an den weit fallenden Ärmeln und Aufschlägen. Links rutschte es ihr von der Schulter und entblößte ihre cremeweiße Haut wie zufällig, aber wer die Zarin kannte, der wusste, dass sie nichts dem Zufall überließ.
    Wie sie da fast nackt stand und aus dem Fenster schaute, im Licht des nächtlichen Sommerhimmels wie von innen heraus leuchtend, brauchte sie weder Prunk noch Pomp: Die Haltung ihres Kopfes, die Nackenlinie, die schlanken Hände, die sich auf die Fensterbrüstung stützten – mit jeder Faser ihres Körpers war sie die mächtigste Frau der Welt.
    Nikolaj spürte eine allzu bekannte Regung unter der Spitzendecke, während er seine Kaiserin betrachtete. Obwohl er mit seinen dreiundzwanzig Jahren sonst den frisch erblühten Hoffräulein in den Pavillons und – wenn es sich ergab – auch mit besonderem Vergnügen den ganz jungen, verschämt kichernden Zofen in lauschigen Ecken den Vorzug gab, musste er sich im kaiserlichen Schlafgemach eingestehen, dass er nicht vor dem erotisierenden Flair der Macht gefeit war. Es hatte in der Tat seinen ganz eigenen Reiz, wenn die Alleinherrscherin Russlands unter den kraftvollen Stößen seiner Lenden wie von Sinnen um mehr und immer mehr bettelte und spitze Schreie der Lust ausstieß.
    »Nicht den Himmel auf Erden, Kolja.« Sie wandte sich ihm zu wie einem Schüler, der einer Belehrung bedurfte. Ein Lächeln umspielte ihren Mund, aber ihre Augen blieben ernst, verhangen noch von den vor wenigen Minuten genossenen Freuden. Eine Strähne hatte sich aus ihrem mit Perlen und Kämmen hochgesteckten Haar gelöst. »Es ist ein Angebot auf Gegenseitigkeit. Meine Landsleute haben erkannt, welch Nutzen ihnen diese Möglichkeit bietet.«
    »Auf Gegenseitigkeit? Welchen Nutzen habt Ihr, Eure Majestät, wenn Ihr diese Deutschen holt?« Fragen zu stellen galt als bewährtes Mittel, die Zarin bei
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