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0015 - Der siebenarmige Tod

0015 - Der siebenarmige Tod

Titel: 0015 - Der siebenarmige Tod
Autoren: Friedrich Tenkrat
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Die altehrwürdige Pendeluhr schlug sechsmal.
    Geoff McNamara zog unwillig die Brauen zusammen und erhob sich. Er war ein Mann kurz vor den Sechzig, schwerfällig wie ein Bär, grauhaarig, mit schwammigen Wangen und zumeist mürrischem Wesen. Seine Launen brauchte man nicht allzu ernst zu nehmen, denn im Grunde seines Herzens war der Alte ein seelenguter, kreuzbraver Kerl.
    Er war Nachtwächter von Beruf. Die Pendeluhr machte ihn unmißverständlich darauf aufmerksam, daß er wieder einmal sein Ränzlein schnüren und zur Arbeit gehen mußte.
    Tony Shamrock, sein sechzehnjähriger Enkel – ein unausgeglichener Junge mit vielen Flausen im Kopf –, stand am Fenster und blickte auf die Straße hinunter. Tony hatte keine Eltern mehr und wohnte seit einem Jahr bei seinem Großvater. In den ersten Monaten mußten sie sich erst zusammenraufen, doch nun vertrugen sie sich blendend, und sie empfanden füreinander so etwas wie innige verwandtschaftliche Liebe.
    Tony trug schwarze Jeans und einen grobgestrickten Pullover, ebenfalls schwarz. Er mochte diese Farbe, zog sie jeder anderen vor, ohne sagen zu können, weshalb. Vielleicht spiegelte seine Vorliebe für Schwarz etwas von seinem melancholischen Gemüt wider.
    »Erwartest du jemanden?« fragte Geoff McNamara. Er stand in der kleinen Kochnische und schmierte sich ein paar Brote für den Nachtdienst.
    »Harry Podwil hat versprochen zu kommen«, antwortete Tony Shamrock. Er seufzte, denn er wußte, daß sein Großvater nun gleich wieder loslegen würde.
    »Harry Podwil.« Es klang verächtlich. »Ich weiß nicht, der Junge gefällt mir nicht, Tony.«
    »Er ist seit Jahren mein Freund.«
    »Das gefällt mir auch nicht. Harry Podwil ist kein Umgang für dich.«
    »Wieso nicht?«
    »Er ist noch so… so unreif. Er hat so viele Dummheiten im Kopf.«
    Tony lächelte. »Ich finde ihn amüsant. Mit ihm ist einem niemals langweilig. Er versteht es, immer was loszumachen.«
    »Das ist es ja, was mir Kummer macht«, murmelte Geoff McNamara in der Kochnische. Er raschelte mit dem Butterbrotpapier. Gleich darauf schnappten die Verschlüsse seiner Aktentasche. »So«, sagte der Alte. Er trat wieder ins Wohnzimmer. »Ich muß jetzt gehen, mein Junge.«
    Tony nickte. »Mach dir’s so leicht wie möglich, Großvater.«
    »Ach, weißt du, in meinem Alter reißt man sich sowieso kein Bein mehr aus. Das tun nur die Jungen, die den Kopf noch voller Ideen und Ideale haben… Was habt ihr beiden Lausebengel denn heute vor?«
    Tony senkte den Blick.
    Die Wahrheit wollte er seinem Großvater nicht sagen. Der wäre sicherlich nicht mit ihrem Vorhaben einverstanden gewesen.
    Deshalb erwiderte er obenhin: »Nichts Besonderes. Ein bißchen bummeln gehen.«
    »Komm nicht zu spät nach Hause, hörst du?«
    »Aber nein, Großvater.«
    »Ich muß mich auf dein Wort verlassen. Wer hätte gedacht, daß der Nachtwächterjob für mich mal zum Problem werden würde.«
    »Mach dir um mich keine Sorgen, Großvater. Ich weiß schon, was ich nicht tun darf.«
    »Das will ich dir gern glauben, aber weiß es auch Harry Podwil?«
    »Aber natürlich«, beeilte sich Tony zu sagen.
    »Na, wir wollen es hoffen«, sagte der alte Nachtwächter, klopfte seinem Enkel freundschaftlich auf die Schulter und verließ dann die kleine Wohnung.
    Zehn Minuten später traf Harry Podwil ein. Ein wahrer Quirl mit brandrotem Haar und mindestens einer Million Sommersprossen im Gesicht. Wenn er grinste, kamen seine unregelmäßigen Zähne zum Vorschein. Er verstand es, dem Leben immer wieder neue Sensationen abzugewinnen, deshalb schaute Tony bewundernd zu ihm auf. Er kam feixend zur Tür herein. Seine braunen Augen rollten.
    »Ist dein Opa schon weg?«
    »Seit zehn Minuten.«
    Harry lachte schrill und legte dem Freund den rechten Arm auf die Schulter. »Junge, heute haben wir was ganz Großes vor. Das wird super, sag’ ich dir. Ich bin schon gespannt wie ein Regenschirm.«
    Tony lächelte gezwungen. Er fühlte sich nicht ganz wohl vor ihrem neuen Streich, aber das wollte er Harry gegenüber nicht zugeben.
    Es gab da am Stadtrand von London eine alte Kirche, die seit einem halben Jahr nicht mehr benutzt wurde. Die christliche Gemeinde hatte es durch Spenden möglich gemacht, an einer anderen Stelle eine schöne moderne Kirche zu errichten. Und nun wurden da die Gottesdienste abgehalten.
    Um die alte Kirche schien sich keiner mehr zu kümmern.
    Aber Harry Podwil hatte herausbekommen, daß die alte Kirche von den Anhängern einer
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