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Gluecklich, wer vergisst

Gluecklich, wer vergisst

Titel: Gluecklich, wer vergisst
Autoren: Edith Kneifl
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davon erfuhr – aber da er gerade an einer internationalen Konferenz in Stockholm teilnahm und wir nur sporadisch miteinander telefonierten, musste ich ihm ja nicht verraten, dass ich für eine paar Tage an den Attersee fahren würde.

    Ich träumte in den vergangenen Jahren oft von diesem See. Wasser steht für Erinnerung, das Eintauchen in die Kindheit. Die Sommer meiner Kindheit bedeuteten See, Sonne und ein altes Schloss. In meinen Träumen malte ich mir aus, wie ich an einem frühen Sommermorgen ins kalte Wasser springen und das prickelnde Gefühl auf meiner Haut genießen würde. Nach dem erfrischenden Bad würde ich mit blauen Lippen und am ganzen Körper zitternd auf dem morschen Holzsteg liegen und mir von den ersten Sonnenstrahlen meinen Rücken wärmen lassen. Ich konnte die Wassertropfen, die auf meinen Armen und Beinen verdunsteten, fast spüren und sah mir dabei zu, wie ich die kleinen Fische im seichten Wasser beobachtete.
    Der Attersee konnte seine Farbe wechseln wie ein Chamäleon. Von mattem Taubenblau über Marineblau, zu Türkis bis Smaragdgrün. Alle Schattierungen zwischen Blau und Grün waren bis heute meine Lieblingsfarben.

    Ich schaute aus dem Zugfenster und sah öde braune Felder. Es war ein regnerischer Herbsttag. Grau- und Brauntöne, so weit das Auge reichte. An sich mochte ich flaches Land, einen weiten Blick. Aber den hatte man im Welser Becken nur an klaren, kalten Wintertagen oder kurz vor einem heftigen Sommergewitter.
    Die Mitreisenden in meinem Abteil schauten nicht aus dem Fenster. Sie wussten, dass es draußen nur öde braune Felder zu sehen gab, graubraune Hügel, graue Einfamilienhäuser.
    Der ICE verlangsamte sein Tempo. „In wenigen Minuten erreichen wir den Bahnhof Attnang-Puchheim“, verkündete eine Männerstimme aus dem Lautsprecher und wiederholte diesen Satz in akzentreichem Englisch. Die Studenten, die mir gegenüber saßen, grinsten überheblich.
    Ich hängte mir die große schwarze Reisetasche um die Schulter und zwängte mich durch die verschwitzten Jungmänner, die am Gang mit einigen Bierdosen ihren Freigang begossen. Was für eine Schnapsidee, sich ausgerechnet an einem Freitagnachmittag auf die Westbahnstrecke zu begeben!
    Die Baronin erwartete mich auf Bahnsteig 3. Ich erkannte sie sofort, obwohl ich mir Gesichter schlecht merken kann und wir uns seit einer Ewigkeit nicht gesehen hatten. Die Jahre waren an Walpurga nicht spurlos vorübergegangen. Sie hatte an die zwanzig Kilo zugenommen. Ihr volles, ehemals blondes Haar war ergraut, fast weiß, das hübsche, ebenmäßige Gesicht sonnenverbrannt und von tiefen Falten durchzogen, wie das Gesicht einer Bäuerin, die täglich viele Stunden auf dem Feld arbeitete.
    Sie trug einen dunkelblauen Hosenanzug. Dazu ein T-Shirt von demselben Hellgrau wie ihr Haar. Wider Willen bewunderte ich ihre schlichte Eleganz. Weder war sie mit Goldschmuck behängt, noch trug sie eines dieser großen, bunten Tücher, hinter denen die meisten Damen ihres Alters ihre faltigen Hälse zu verstecken suchten.
    Unsere Umarmung fiel etwas steif aus. Der Anlass unseres Wiedersehens war kein erfreulicher.
    „Mädchen, lass dich ansehen.“ Walpurga hielt mich an beiden Armen fest und schob mich ein Stück von sich weg.
    „Großartig siehst du aus. Eine Spur zu dünn vielleicht. Aber du bist eine schöne Frau geworden, siehst Gisela sehr ähnlich, vor allem im Gesicht. Derselbe Mund, die gleichen graublauen Augen. Du bist wirklich ihr Ebenbild.“
    Als ich den Namen meiner Mutter aus ihrem Mund vernahm, versetzte es mir einen kleinen Stich in der Herzgegend. Walpurga und Gisela waren befreundet gewesen. Wahrscheinlich hatte meine Mutter bis zu ihrem Tod nicht gewusst, wie gut sich Walpurga auch mit meinem Vater verstanden hatte.
    Der alte Passat-Kombi sah ziemlich ramponiert aus. Walpurga stellte mein Gepäck auf den Rücksitz, da der Kofferraum mit Dachziegeln, Zementsäcken und anderem Baumaterial voll beladen war. Das Innere des Wagens war verdreckt.
    „Wir müssen die Terrasse fertig betonieren und das Dach dicht kriegen, bevor der Winter kommt“, erklärte sie mir.
    Auf dem Rest der Fahrt sprachen wir übers Wetter. Als die Schörflinger Kirche in Sicht kam, zeigte ich mich überrascht, wie wenig sich die Umgebung des Attersees in den letzten Jahren verändert hatte.
    „Ja, zum Glück sind wir vom Massentourismus bis heute verschont geblieben. Der See ist nach wie vor ein Geheimtipp für Ruhe suchende Großstädter, vor allem für
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