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Gluecklich, wer vergisst

Gluecklich, wer vergisst

Titel: Gluecklich, wer vergisst
Autoren: Edith Kneifl
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heute als Bügelraum und Abstellkammern dienten. Über einen breiten, nicht sehr langen Gang erreichte man den großen Salon, vom Gang aus führten zwei steinerne Treppen hinauf in die oberen Stockwerke.
    Die meisten Räume im linken Flügel des Schlosses waren bereits vor Jahrzehnten unbewohnbar gewesen. Ende der 70er Jahre hatten Walpurga und ihr Mann im Erdgeschoß alle Zwischenwände entfernt und einen kleinen Konzertsaal eingerichtet. Die oberen Stockwerke hatten sie dem Verfall preisgegeben.
    Im rechten Flügel waren die Gästezimmer untergebracht. Im Parterre gab es nur eine Toilette, und zwar in einem großen, altmodischen Badezimmer.
    Im ersten Stock lag die Wohnung der Familie Mankur. Im zweiten Stock hatte Albert, Walpurgas Sohn aus erster Ehe und, wenn man es genau nahm, der heutige Baron von Welschenbach, sein Reich. Ich wunderte mich, dass er immer noch dort oben hauste. Albert musste Anfang fünfzig sein und lebte nach wie vor bei seiner Frau Mama?
    Von dem Zimmer aus, in dem ich untergebracht war, führte eine schmale Tür auf die große Terrasse. Ich ging hinaus.
    Die Tage wurden schon deutlich kürzer. Ein herbstlicher orangeroter Schimmer breitete sich über den Laubwald unterhalb des Schlosses. Dort, wo ich den See vermutete, zogen die ersten Nebelschleier vorüber. Ich stützte mich mit den Händen auf der Balustrade ab und beugte mich hinunter.
    Die Marmortreppe war notdürftig mit groben Natursteinplatten ausgebessert worden. Dazwischen gab es Lücken und Ritzen, aus denen das Unkraut spross. Die wenigen originalen Marmorsteine waren gesprungen und graubraun verfärbt. Es roch nach verfaultem Laub.
    Kein Lüftchen regte sich. Die Feuchtigkeit kroch durch meinen Baumwollpullover, ließ mich frösteln. Es würde eine neblige Nacht werden. Dieses Herbstwetter war tückisch. Fast jedes Jahr handelte ich mir um diese Zeit eine schlimme Erkältung ein.
    Ich ging zurück in mein Zimmer. Auch in dem alten Gemäuer war es ziemlich ungemütlich. Die mindestens fünf Meter hohen Räume waren fast unbeheizbar, und da die meisten der großen Holzfenster noch dazu undicht waren, zog es in allen Räumen wie in einem Vogelhaus. Das Heizsystem des Schlosses war etwas altertümlich. Außer den offenen Kaminen standen in allen bewohnten Räumen Ölöfen. In der Küche spuckte ein alter, schwarzer Kohleofen Kohlenmonoxid aus. Das Bad im Parterre wurde mit einem ebenfalls antiquarischen Holzofen beheizt. Ich verschob die Dusche auf morgen früh, zog einen wärmeren Pullover an und ging hinüber in den Salon.
    Zuerst fiel es mir gar nicht auf, dass ich nicht allein war. In dem großen Raum gab es so viele Nischen und Sitzgruppen, dass man sich gut zu dritt oder zu viert darin aufhalten konnte, ohne einander ansehen, geschweige denn miteinander sprechen zu müssen.
    Im Salon häufte sich der Besitz vieler Leben an. Ein Sammelsurium sündhaft teurer Antiquitäten, Jugendstilvasen auf Biedermeierkommoden, eine goldene Standuhr auf einer schweren Anrichte aus dem 18. Jahrhundert, ein großer schwarzer Flügel, edle Orientteppiche und prächtig verzierte Spiegel neben billigen Souvenirs aus aller Welt und diversem Krimskrams. Die Vitrinenschränke waren vollgestopft mit Meißner Porzellan und nicht minder wertvollen Nippes. An den Wänden hingen Ölbilder, hauptsächlich Ahnenporträts und Landschaftsmalerei. Margarita, die Freundin meines Vaters, hätte sich hier wohl gefühlt. In ihrem Haus sah es ähnlich aus.
    Die vier großen Fenster und die Terrassentüren waren hinter schweren Vorhängen von undefinierbarer Farbe verborgen. Sie dürften ursprünglich wohl einmal bordeauxrot gewesen sein. Sofas und Sessel waren mit Hussen in beigen Farbtönen überzogen. Walpurga konnte es sich bestimmt nicht leisten, die Fauteuils neu tapezieren zu lassen, dachte ich, bevor ich mich mit einem lauten Räuspern bemerkbar machte.
    Nicht Walpurga saß in dem Ohrensessel am Kaminfeuer, sondern ein Mann.
    Rasch warf ich einen Blick in den Empire-Spiegel, strich mit den Fingern durch mein zerzaustes Haar und fuhr mir mit der Zunge kurz über meine trockenen Lippen, bevor ich „Guten Abend“ sagte.
    Ich sah sein Gesicht, noch ehe er sich umdrehte. Ein schmales Gesicht mit eingefallenen Wangen, einem blassen Teint, einem resignierten, aber sinnlichen Mund und tief liegenden, großen dunklen Augen, von Erschöpfung gezeichnet, umgeben von einem Hauch von Dekadenz.
    Er drehte seinen Kopf zu mir, sah mich an. Weder Überraschung noch
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