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Gluecklich, wer vergisst

Gluecklich, wer vergisst

Titel: Gluecklich, wer vergisst
Autoren: Edith Kneifl
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Wiedersehensfreude lagen in seinem Blick.
    Sein dunkles Haar hatte sich an der Stirn etwas gelichtet und war von grauen Strähnen durchzogen. Es waren jedoch dieselben hageren, kantigen Züge und dieselben melancholischen braunen Augen, die mich jahrelang in meinen Träumen heimgesucht hatten.
    „Servus Albert“, sagte ich verlegen und streckte ihm meine Hand hin. „Ich will dich nicht stören. Ich möchte mich nur ein bisschen aufwärmen. Der Ofen in meinem Zimmer funktioniert nicht …, kenne mich mit Ölöfen nicht aus. Das Kaminfeuer ist ebenfalls ausgegangen …, habe es nicht geschafft, es wieder anzufachen …“, stammelte ich mit belegter Stimme. Gleichzeitig ärgerte ich mich, dass mich der Anblick von Albert auch heute noch in Verlegenheit brachte.
    Er sprang auf, starrte mich aber weiterhin mit diesem abwesenden Blick an, den ich nicht zu deuten wusste. Registrierte er überhaupt, dass  ich  es war, die da eineinhalb Meter vor ihm stand? Er musste doch von meinem Kommen unterrichtet worden sein.
    Es vergingen ein paar peinliche Sekunden, bis er endlich meine Hand ergriff. „Grüß dich, Joe. Schön, dich zu sehen“, murmelte er fast unhörbar. „Ich habe einen Moment lang gedacht, Gisela wäre zurückgekehrt. Du siehst aus wie deine Mutter …“
    Ich erinnerte mich, dass Albert immer extrem leise gesprochen hatte. Schüchtern und aggressionsgehemmt, diagnostizierte ich rasch, um endlich dieses Gefühl loszuwerden, das kleine Mädchen zu sein, das den großen Bruder seiner Freundin anhimmelt.
    „Darf ich?“, fragte ich forsch, nahm, ohne seine Antwort abzuwarten, auf der dick gepolsterten Zweierbank rechts neben ihm Platz, wandte mich von ihm ab, hielt meine Hände nahe ans Feuer und redete drauflos. „Wie geht’s dir? Du hast dich auch kaum verändert. Ich habe dich sofort wieder erkannt. Wie lange haben wir uns nicht gesehen?“ Irgendwann gingen mir die Floskeln aus. Ich schaute ihn direkt an. Und, oh Wunder, er schenkte mir eines seiner äußerst seltenen Lächeln. Damit hatte er mir schon in meiner Jugend den Schlaf geraubt. Wenn Albert lächelt, geht die Sonne auf, pflegte meine Mutter manchmal zu sagen.
    „Möchtest du Kaffee, Tee oder lieber einen Drink?“, fragte er, ganz der wohlerzogene Gastgeber.
    Ich erwartete, dass er gleich eine unsichtbare Klingel betätigen würde und daraufhin ein beflissener Butler erschien und mir ein Tässchen Tee in feinstem Meißner Porzellan reichte.
    Nur um zu sehen, was tatsächlich passierte, sagte ich: „Gegen einen Tee hätte ich nichts einzuwenden, obwohl mir eher nach einem Grog zumute ist.“
    Albert erhob sich, entschuldigte sich und verließ den Salon.
    Albert Welschenbach, oder wenn die Adelsbezeichnungen in der ersten Republik nicht abgeschafft worden wären, Baron von Welschenbach, war fast so groß wie Jan Serner und sogar eine Spur dünner als er. Gekleidet war er wie ein Landjunker aus dem vorigen Jahrhundert: Hellbraune Schnürlsamthose, warmes Flanellhemd, Sakko mit Lederflecken auf den Ellbogen, alles oftmals gewaschen und abgetragen, jedoch von guter Qualität. Die Sachen waren ihm viel zu groß. Ich überlegte kurz, ob er wohl Hosenträger unter seinem Sakko versteckte.
    Nach ein paar Minuten kam er wieder zurück. „Mutter bringt gleich den Tee. Sie füllt nur rasch Öl in deinem Ofen nach.“
    Walpurga scheint die Rolle der alten Kathi, die früher als gute Seele den Haushalt betreut hatte, übernommen zu haben, dachte ich boshaft. Sogleich tat es mir leid, ihr zusätzliche Arbeit aufgehalst zu haben. Ich nahm mir vor, mich in den nächsten Tagen hier ein bisschen nützlich zu machen.
    „Der Heinz ist verschwunden“, sagte Albert plötzlich.
    „Heinz?“
    „Der Sohn vom alten Fischer-Hans. Erinnerst du dich nicht mehr an ihn?“
    Ich erinnerte mich vage an einen blassen Jüngling, der nichts als seine blöden Fische im Kopf gehabt hatte.
    „Sein Boot ist herrenlos im See getrieben, hinunter zur Ager. Er hat sich seit Tagen nicht mehr bei uns blicken lassen. Normalerweise bringt er uns jede Woche mindestens zweimal frischen Fisch“, sagte Albert.
    „Warum rufst du ihn nicht an, wenn du dir Sorgen machst?“
    „Er hat kein Handy. Er hat diese Art von Kommunikation bisher genauso verweigert wie ich.“
    „Und zu Hause?“
    „In seiner Baracke gibt es keinen Telefonanschluss.“
    Ich zuckte mit den Achseln und war froh, dass sich in diesem Moment Walpurga mit dem Tee zu uns gesellte.
    Albert stand auf und sagte
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