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Gluecklich, wer vergisst

Gluecklich, wer vergisst

Titel: Gluecklich, wer vergisst
Autoren: Edith Kneifl
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verweigern.
    „Halt endlich den Mund, Papa“, herrschte ich ihn an.
    Walpurga übernahm die Notwehr-Version, die sie für ihre Tochter Franzi entworfen hatte: „Wir stritten wieder einmal ums Geld. Er war nicht bereit, die fünfzehntausend Euro für die Renovierung der Bar rauszurücken, bestand jedoch darauf, dass ich den Vertrag mit diesen Amerikanern unterschreibe. Irgendwann ging er auf mich los. Er war stockbetrunken. Ich griff nach dem Schürhaken, hielt ihn schützend vor mich. Die Zacken bohrten sich wie von selbst in seinen Unterleib, als er sich auf mich stürzte. Er hat sich selber aufgespießt. Heinrich hat bestätigt, dass ich nicht wirklich zugestochen habe. Die Wunde war viel zu wenig tief. Daran wäre er sicher nicht gestorben.“
    „Höchstens impotent geworden“, warf ich ein.
    Sie blickte mich irritiert an, sprach aber weiter: „Er taumelte und ich versuchte, den Schürhaken aus seinem Bauch zu ziehen, versetzte ihm dabei unabsichtlich einen weiteren Stoß. Sein Körper kippte nach hinten. Sein Kopf prallte gegen den Kaminsims. Er schrie, als er stürzte und ganz langsam zu Boden rutschte. Und ich verließ fluchtartig den Raum, rannte am Gang Heinrich in die Arme. Als wir uns in die Küche zurückzogen, sahen wir Franzi in den Salon eilen.“
    Walpurga schilderte die Tat ganz nüchtern, ohne eine Träne, streckte nur dramatisch ihre Arme aus und hielt sie Serner hin, so als würde sie nach Handschellen verlangen.
    „Es war eindeutig Notwehr“, krächzte Victor. „Hab keine Angst, mein Schatz, Jan wird das verstehen.“
    Diese Beteuerung meines Herrn Papa schien nicht viel zu nützen. Jan starrte die Baronin abfällig an und sagte: „Sie wollten Ihre Tochter opfern. Warum?“ Am liebsten hätte ich ihn in diesem Moment umarmt. „Ihre Tochter ist jahrelang missbraucht worden, und Sie haben es gewusst.“
    Walpurga zuckte nicht einmal mit einer Wimper, starrte ihn unverfroren an und sagte: „Ich habe es vermutet. Auch deswegen habe ich dieses Schwein umgebracht.“
    „Oh nein“, sagte Jan. „Sie haben den Falschen erwischt.“
    Nicht nur ich schaute ihn verblüfft an. Mein Vater zündete sich einen Zigarillo an.
    „Als Joe anlässlich unseres gemeinsamen Besuches bei Ihrer Tochter kurz auf der Toilette war, habe ich Franzi noch einmal ins Gebet genommen. Sie hat mir erzählt, dass sie von ihrem Bruder Albert seit ihrem zwölften Lebensjahr, also seit dem Beginn ihrer Menstruation, sexuell genötigt worden ist. Und sie hat mir versichert, dass sie bis zu ihrem sechzehnten Lebensjahr mit keinem anderen Mann als mit ihrem Bruder Geschlechtsverkehr gehabt hat. Sie alle wissen ganz genau, was das bedeutet.“
    Ein eisiger Schauer erfasste mich. Ich wollte ihm nicht glauben. Bluffte er nur? Ein Blick auf Albert und Walpurga, und mir wurde schmerzhaft klar, dass Jan die Wahrheit sagte.
    Albert war sieben Jahre älter als Franzi. Er war damals bereits ein erwachsener Mann gewesen. Es war also sein pickeliger Hintern, der mich fast dreißig Jahre lang in meinen Träumen verfolgt hatte. Geschwisterliebe? Was für eine Scheiße! Er hatte sie missbraucht. Eigentlich stand er auf meine Mutter, aber bei der hatte sich dieser Komplexler nicht getraut. Also hatte dieses Schwein seine kleine Schwester vernascht. Und Franzi hatte ihn fast bis zum Schluss nicht verraten. Verrat war nie ihre Sache gewesen. Sie hatte uns alle im Glauben gelassen, dass Philip sie vergewaltigt hatte. Nur Jan hatte sie sich anvertraut. Warum wohl?
    Erst als Franzi von Albert schwanger wurde, die Hotelfachschule in Bad Ischl abbrach und nach Linz ging, hat sie sich ihrem Bruder verweigert. Der arme Albert war geschockt, musste in die Psychiatrie, hatte damals seinen sogenannten Nervenzusammenbruch. Oh mein Gott, wie hatte ich nur so blöd sein können? Der Zusammenhang zwischen Alberts Psychiatrieaufenthalt und Franzis Schwangerschaft lag doch auf der Hand.
    Ich verfluchte meine Naivität. Natürlich musste es der böse Stiefvater gewesen sein, wer denn sonst? Ich sollte besser meinen Beruf aufgeben. So viel Blindheit darf sich eine Therapeutin einfach nicht erlauben.
    Während ich weiter mit meiner Dummheit haderte und wüste Mordgelüste gegenüber dem kreidebleichen Albert hegte, entging mir beinahe eine wichtige Szene.
    Walpurga hatte sich auf ein Sofa gelegt und wand sich in einem Weinkrampf. „Er hat es nicht getan …“, schluchzte sie.
    Victor und Dr. Braunsperger stürzten zu ihr, übertrafen sich in ihren
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