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Glaesener Helga

Glaesener Helga

Titel: Glaesener Helga
Autoren: Wolfe im Olivenhain
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durch den kleinen Vorgarten entgegen. Sie grüßte höflich, und er grüßte ebenso höflich zurück. Einen Moment später pochte es an der Tür.
    »So kommen Sie doch bitte herein, Signora Brizzi.« Natürlich war wieder niemand vom Personal zur
Stelle, um zu öffnen. Sofia drückte sich vor jeder Arbeit, an die man sie nicht mit Gewalt zerrte, Anita
hantierte in ihrer Küche, und wo Irene sich befand –
die Zofe, die Rossi für die beiden Damen seines Hauses engagiert hatte –, mochte der Himmel wissen. Cecilia wollte nach dem Mantel des Gastes greifen,
doch die Fremde war zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, um die Geste zu bemerken. Sie
trat ins Speisezimmer und musterte stirnrunzelnd den
Ruß an Möbeln und Wänden.
In diesem Moment erblickte Cecilia die Verunstaltung ihres Gesichts. Francescas linke Wange war nach
innen gedrückt, durch eine Verletzung, bei der offenbar der Wangenknochen gebrochen war. Die Haut
kräuselte sich über der verheilten Wunde in einer tassenförmigen Narbe mit ausgefransten Rändern. Eine
Fratze. Allerdings nur halbseitig, denn der rechte Teil
des Gesichts war bei dem Unfall, den es gegeben haben musste, völlig unversehrt geblieben.
»Also Signorina …«, begann Francesca Brizzi. Cecilia errötete, als trüge sie durch ihr taktloses
Starren eine Mitschuld an der Entstellung der jungen
Frau. Rasch fiel sie ihr ins Wort: »Wenn Sie sich vielleicht setzen …«
»Das ist ein Bulle gewesen, im Stall meines Patenonkels. Ich hab mich dran gewöhnt.« Francesca hob
gleichgültig die Schultern. »Das Bein hat er auch zertreten.« Sie lehnte die Krücke in eine Ecke, humpelte
zu dem Sessel, von dem Cecilia eilig das Tuch herabzog, und ließ sich darin nieder. Ihr Blick wanderte zu
dem Kehrblech, auf dem immer noch die Dohle lag,
und sie starrte darauf, während sie nach den nächsten
Worten suchte. »Wo ist Enzo? Ich muss ihn sprechen.«
»Nun, ich furchte …«
»Mein Bruder ist ermordet worden.«
Schockiert suchte Cecilia nach einer Antwort. Was
sagte man da? Herzliches Beileid? Wie entsetzlich,
meine Liebe? Sie öffnete die Tür des Aufsatzschranks,
um Wein und zwei Gläser herauszunehmen, doch der
Ruß hatte auch vor dem Schrankinneren nicht haltgemacht. Durch den Korridor rief sie nach Irene. Dann
zog sie das Laken von einem zweiten Stuhl und nahm
der Fremden gegenüber Platz.
»Er ist nicht da?«, fragte ihre Besucherin.
»Leider. Und ich fürchte …«
»Er ist also nicht da.«
Cecilias Herz krampfte sich vor Mitleid zusammen.
Mein Bruder ist ermordet worden . Signora Brizzi musste
diesen Bruder sehr geliebt haben. Ihr Gesicht war steinern, und die Trauer umgab sie wie ein Panzer aus dickem, schwarzem Eis. Die Kälte, die von ihr ausströmte, ließ Cecilia frieren. »Ihr Bruder …«
»Mario.«
»Er hieß Mario?«
»Wir sind Zwillinge. Wir wurden innerhalb von wenigen Minuten geboren«, sagte die Frau, ohne dass sich ihre Züge belebt hätten.
»Tatsächlich.«
Francesca legte die Arme um den Oberkörper. Es sah aus, als fröre sie in ihrem schwarzen Eispanzer. Gedankenverloren machte sie Anstalten, sich selbst zu wiegen, doch als ihr einfiel, wo sie sich befand, ließ sie die Arme wieder sinken. »Sie wissen nicht, wann Enzo zurückkehrt?«
»Sicher bald.«
Es klopfte. Irene betrat mit ihrem üblichen hochnäsigen Knicks das Zimmer und servierte den Wein. Cecilia sah sie die Nase rümpfen über den groben Mantelstoff und die billigen Stiefel des Gastes. Verärgert schickte sie die Zofe wieder hinaus. »Was ist denn nun geschehen?«, fragte sie, nicht, weil sie es wissen wollte, sondern weil sie den Druck spürte, der den Eispanzer zu sprengen drohte.
Francesca richtete ihren Blick wieder auf die tote Dohle. Sie sprach sehr nüchtern, als sie berichtete. Ihr Bruder Mario war in einem der Häuser unten in den Sümpfen, in dem die Mönche ihre Dampfmaschinen aufgestellt hatten, tot aufgefunden worden. Neben der Maschine. Von Hunden zu Tode gebissen. »Die Viecher haben ihn umgebracht, aber Marios Mörder ist
Sergio Feretti. Das weiß ich.«
»Sie wissen …?«
Francesca sprach weiter, als hätte sie den Einwurf
gar nicht gehört. »Ich bin zum Giusdicente Lupori in
Buggiano gegangen. Aber der sagt, die Beweise reichen
nicht aus. Was soll das heißen, die Beweise reichen
nicht aus?, hab ich ihn gefragt. Sergio hat meinen
Bruder gehasst. Vor zwei Jahren hat Mario einen Bastard in Sergios Hundezwinger gelassen. Der Rüde hat
eine der Hündinnen gedeckt. Aus Rache hat
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