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Glaesener Helga

Glaesener Helga

Titel: Glaesener Helga
Autoren: Wolfe im Olivenhain
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Moment zum anderen überfluteten sie die Bilder, und plötzlich sah sie alles wieder vor sich: die kristallenen Lüster, die verspiegelten Wände, die weichen Teppiche, über die Lakaien mit Tabletts voller funkelnder Weingläser schritten – und natürlich Inghiramo.
    Der große Inghiramo, Tragödiendichter, der aufsteigende Stern am Theaterhimmel … Er hatte das Teatro für sie in einen Garten Eden verwandelt, in dem er ihr – wie ehemals die Schlange – den Apfel der Liebe unter die Nase hielt. Und vermutlich hatte er sich dabei totgelacht über das blankäugige Närrchen, das in seiner ringelnden Gestalt eine reine Seele zu erspähen meinte. Wie konnte ich nur, dachte Cecilia. Wie konnte ich …
    Sie wollte das Blatt auf den Büchern ausbreiten, doch es glitt ihr aus den Händen und segelte zu Boden.
    »Weiter«, hörte sie Rossi fauchen.
    Sein wohlbeleibter, schmutziger, treu ergebener Sbirro fuhr gehorsam fort, die Straftaten aufzuzählen, die Montecatini in der vergangenen Woche erschüttert hatten. »Als Zweites, Giudice …« Die Sache mit Elio und Carlo. Der Streit wegen der Scheunennutzung schwelte immer noch, und Carlo hatte Elio einen Kirschkernkacker genannt, was der anzuzeigen wünschte. Zum Dritten war Rosaria Foddis von einem durchziehenden Kesselflicker betrogen worden. Sie hatte einen Nachttopf ausbessern lassen, der aber, wie sie unter bedauerlichen Umständen feststellen musste, immer noch leckte. Und nun war ihr venezianischer Teppich …
    »Ein Nachttopf?«
»Jawohl, Giudice. Ich habe den Kesselflicker erwischt, als er über die Gemeindegrenze nach Buggiano wollte, und ihn fest –«
»Nachttopf!«
»Ich könnte …«
» Merda! « Rossis Stimme ging in einem Poltern unter, und aus der Öffnung des Bibliothekskamins stieg eine weitere Rußwolke.
Enerviert verdrehte Cecilia die Augen. Sie kletterte die Leiter hinab und hob das Zeitungsblatt wieder auf. Rasch überflog sie den Artikel auf der Suche nach Großmutters Namen, fand ihn aber nicht, was sie auch nicht wunderte. Zum einen war Großmutter nicht prominent genug, um in der Babette Erwähnung zu finden, zum anderen hatte Cecilias Affäre mit dem Theaterdichter ihr die Freude an der Bühnenkunst verdorben. Wie du mir überhaupt jede Freude verdorben hast, hätte Großmutter jetzt hinzugefügt. Und das nach allem, was ich für dich getan habe!
Cecilia seufzte.
Sie war gerecht genug, um die Liebe und die sorgfältige Erziehung zu würdigen, die Großmutter ihr nach dem Tod der Eltern hatte angedeihen lassen. Sogar ihren Versuch, eine Hochzeit mit dem unglückseligen Augusto zu arrangieren, nachdem sie von der Affäre erfahren hatte, musste man als Beweis aufrichtiger Zuneigung werten. Doch dann hatte die alte Frau Cecilias schwellenden Bauch bemerkt und drastische Maßnahmen ergriffen. Cecilia, immer noch ein Närrchen, wenn auch inzwischen weniger blankäugig, hatte die Qual des Schnürens Tag für Tag ertragen, ohne zu erkennen, was damit beabsichtigt war, und am Ende hatte sie ihr Kind verloren, mitten in der Nacht, auf einem Abort. Das war zu schmerzlich, um es zu vergeben. Auch jetzt noch, nach über einem Jahr. Cecilia warf das Blatt in den Korb mit dem Kaminholz und riss das Fenster auf, um frische Luft hereinzulassen.
»Es zieht!«, brüllte Rossi.
Sie tat, als hörte sie nicht. Die Luft draußen war schneidend, aber klar wie Quellwasser, und sie sog gierig die Lungen voll. Fort mit den nutzlosen Erinnerungen. Florenz war Vergangenheit, … ihr Zuhause der Palazzo della Giustizia in Montecatini.
Cecilia musste lächeln, als sie an den hochtrabenden Namen dachte, der so gar nicht zu dem heruntergekommenen grauen Steinhaus mit den wackligen Fensterläden und den altersmürben Schindeln passte. Müßig ließ sie die Augen über den Marktplatz schweifen. Links vom Palazzo befand sich das Teatro dei Risorti, in dem die Gerichtsverhandlungen stattfanden. Daran schloss sich ein Wohnhaus an, dann ein uralter Turm, den eine montecatinische Adlige in eine Kapelle zu Ehren der Heiligen Jungfrau hatte umbauen lassen. Den Rest des Ovals beanspruchten wieder Bürgerhäuser. Und natürlich das Kaffeehaus, dessen mit Eisblumen verzierte Fenster darauf hinwiesen, dass Goffredo ordentlich heizte – und das schon seit einer Woche, seit diese Kälte über den Ort hereingebrochen war. So ging es nämlich auch; man musste nicht erst warten, bis der halbe Haushalt erfroren war!
Vor dem Kaffeehaus goss ein alter Mann einen Eimer rosa gefärbtes
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