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Glaesener Helga

Glaesener Helga

Titel: Glaesener Helga
Autoren: Wolfe im Olivenhain
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übersät, in denen Blut schimmerte wie Wein. Schwankend zwischen Entsetzen und Neugierde tat Gildo einen weiteren Schritt, so dass er das Gesicht des Gemarterten erkennen konnte.
Der Anblick sollte sich ihm unlöschbar einprägen. Augen, schwarz und blank wie Glasperlen im Schnee, starrten ihm über dem Knebel entgegen, als flehten sie ihn um Hilfe an. Gildo fuhr der Schreck in sämtliche Glieder. Er traf keine Entscheidung. Seine Beine trugen ihn fort, als würden sie von einer fremden Macht bewegt. Weg von dem entsetzlichen Haus, weg von dem Gefolterten. Weg von dem Hundehaufen.
Bis ans Ende seines Lebens sollte ihn die Frage quälen, ob der Mann, den er dort neben der Maschine hatte liegen lassen, zu diesem Zeitpunkt noch gelebt hatte.
    1. Kapitel
    E s ist ein Loch! Es ist nichts als ein ummauertes Loch!«, brüllte Enzo Rossi und stieß mit dem Ende seines Besenstiel so heftig gegen die Innenwand des Kaminschlots, dass der Putz herabrieselte.
    Cecilia, die in der Tür zum Speisezimmer des Palazzo della Giustizia stand, betrachtete ihn kopfschüttelnd. Er kniete mit verrenktem Hals und Gliedern vor der Öffnung des Kamins – die Arme schwarz, das Gesicht mit Streifen durchzogen wie bei einem Zebra, das weiße Hemd verdorben. »Es muss dort eine verdammte Krümmung …«, fluchte er. Ein weiterer Stoß mit dem Besenstiel ließ eine schwarze Wolke aus der Kaminöffnung steigen.
    »Ich würde nach Vitale Greco schicken«, meinte Bruno Ghironi, der Sbirro, der zum allmorgendlichen Appell angetreten war, bedächtig.
    Damit wiederholte er, was Cecilia selbst schon vorgeschlagen hatte. Warum rufst du keinen Kaminkehrer, Rossi? Der Mann hat das gelernt; er weiß, wie man es macht. Doch es scheint das Schicksal von Ratschlägen zu sein, dass sie umso vehementer abgelehnt werden, je klarer ihr Nutzen auf der Hand liegt.
    Dabei war Enzo Rossi kein Dummkopf. Die Urteile, die er in seiner Eigenschaft als Richter von Montecatini fällte, stellten die Leute zufrieden, weil sie von Sachkenntnis und gesundem Menschenverstand zeugten. Erzgroßherzog Leopoldo hatte ihn in seine Compilations-Kommission berufen, um bei der Justizreform des Landes zu helfen. Ein gescheiter Mann also. Und doch fuhrwerkte er seit über einer Stunde mit Besen, Mistforken und anderem Gerät im Schlot herum, in einem verbissenen Zweikampf, über dessen Ursache man nur rätseln konnte. Der Herrgott hat die Männer dank ihrer Vernunft bestimmt, über die Weiber zu herrschen? Man sieht es, Signore Kant.
    Die alte Sofia, das Hausfaktotum, steckte den Kopf durch die Tür und musterte missbilligend den Schmutz. »Ich muss ’ne Menge Dreck wegmachen, nachher«, murrte sie. »Und oben fegen und unten fegen, … aber will ja keiner was von wissen, … wie alles Mühe macht …« Als niemand auf ihr Nölen antwortete, zog sie wieder von dannen.
    »Nun komm, … Cecilia … Gib mir das Ding da, … das mit dem Haken …« Rossi streckte die Hand aus, den Kopf schon wieder unter dem Schlot.
    »Der Kaminkehrer …«, begann sie.
»Ich habe es gleich. Verstehst du?«
Achselzuckend reichte sie ihm das Werkzeug und
    kehrte ins Nebenzimmer zurück. Sie hatte leider viel zu spät entdeckt, dass der Kamin im Speisezimmer mit dem Ungetüm in der Bibliothek den Schlot teilte und die fettige Pest in ihr Heiligtum trug. Im Sonnenlicht konnte sie nun das gesamte Ausmaß des Unglücks bewundern. Die Möbel sahen aus, als wäre ein schwarzer Sandsturm durch den Raum gefegt, Trauergirlanden aus Ruß umkränzten die Kaminkacheln und auf den Spanntapeten hafteten fedrige Flocken. Doch am schlimmsten stand es um die Bücher.
    Wehmütig fuhr Cecilia mit der Hand über die ledernen Einbände, auf denen winzige Rußpartikel klebten, die man mit Sicherheit nicht würde abwischen können. »Rossi, du verdirbst die Bücher!«
    Sie nahm einen Stapel Zeitungen und stieg auf die Leiter, die der Sbirro ihr vor den Bücherschrank gestellt hatte, entschlossen, ihre Rettungsmaßnahmen fortzusetzen, auch wenn es fast schon zu spät war. Umständlich entfaltete sie eines der Blätter, Teil der Meinungen der Babette , für die sie gelegentlich eine Beobachtung aus der Provinz schrieb. Sie wollte das Papier gerade über die Bücher in den oberen Borden schieben, als ihr Blick auf die umrandete Rubrik mit der Überschrift Gemischtes fiel.
    2. Januar , Firenze : Ball im Teatro della Pergola .
    Teatro della Pergola . Sie hatte nicht die Absicht, sich zurück zu erinnern, wahrhaftig nicht, aber von einem
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