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Giftpilz

Giftpilz

Titel: Giftpilz
Autoren: Stefan Alexander; Ummenhofer Rieckhoff
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saß er in seinem Sessel – Anzug,
Krawatte, weißer Arztkittel.
    »Was willst du?«, fragte er sachlich.
    »Zunächst einmal, dass Sie mich siezen«, forderte Hermann
Reinstetter, dem das Atmen so schwer fiel, dass er seine Anwesenheit ohnehin nicht
länger hätte verbergen können. Warum sollte er auch? Es war ja nun niemand mehr
in der Nähe.
    »Dich siezen?«, fragte Krieg. »Wir sind keineswegs auf Augenhöhe –
weder moralisch noch gesellschaftlich.«
    Er blickte den Eindringling verächtlich an. »Ich bin der tragende
Pfeiler dieser Klinik, habe beträchtliche medizinische Verdienste. Du hingegen
bist ein heruntergekommener Erpresser und ein …«
    »… einfacher Pfleger?«, schlug Reinstetter vor.
    »Ärzte werden gesiezt, Pflegepersonal wird geduzt«, unterstrich
Professor Krieg. »Wie kommst du dazu, mir drei Morde zu unterstellen?«
    Er erwog, das Gespräch einfach abzubrechen. Um Hilfe zu rufen würde
keinen Sinn ergeben, schließlich war Fräulein Haas schon weg, die Türen dicht
und sein Büro im etwas abgelegenen Seitentrakt der Klinik.
    Der aufgebrachte Krankenpfleger machte einen weiteren Schritt auf
den Chefarzt zu und beschloss, ihn von nun an auch zu duzen. »Mord Nummer eins
dürfte dir klar sein. Soleklinik in Bad Dürrheim, ein eigentlich schöner
Junitag.«
    Der Arzt behielt weiterhin die Nerven und die Strenge im Ausdruck.
»Ich verbiete dir, mich zu duzen«, sagte er, als wäre das angesichts einer
solchen Anschuldigung das Hauptproblem.
    »Wagemann, Angelika, geboren am 19.3.1954«, fuhr Reinstetter fort.
»Eine Patientin mit Darmkrebs. Um ihre Prognose zu verbessern, hattest du eine
Chemotherapie angeordnet.«
    Krieg schaute sein Gegenüber scharf an. »Mord?«, sagte er dann
verächtlich. »Mord nennst du das? Du bist verrückt!«
    »Heilungschance neunzig Prozent«, sagte der Mann weiter. »Wenn man
die Dosierung des Fluorouracil richtig berechnet – allerdings nicht, wenn man
die Zehnerpotenz verwechselt.«
    »Ich verbiete dir, meine Arbeit zu beurteilen«, erwiderte Krieg.
»Und ich bin jemandem wie dir in keiner Weise Rechenschaft schuldig. Du weißt
nichts von der großen Verantwortung eines Arztes. Du weißt nichts von der
Schwierigkeit, anhand der Körperoberfläche die Dosierung des Zytostatikums
berechnen zu müssen.«
    »Da kann man sich schon einmal um das Zehnfache vertun …«, meinte
Reinstetter sarkastisch.
    »Du weißt genau, dass es ein Unfall war«, gab Krieg zurück, der
immer noch aufrecht am Schreibtisch saß und seinen Besucher mit dem Blick
fixierte. »Kriminell war lediglich, was du getan hast: Als die Patientin
verstorben war, hast du ihr heimlich Haare ausgerissen, um einen Beweis für die
Überdosierung des 5-FU zu haben …«
    »Das weiß nicht jeder der von dir so verächtlich behandelten
Pfleger, dass man anhand der Haarwurzeln eine Fehlmedikation nachweisen kann.
Außerdem hast du damit angefangen, mich zu bestechen, damit ich über den
Vorfall schweige.«
    »Das war lediglich eine kleine Aufmerksamkeit für deine Hilfe. Aber
stattdessen habe ich einen widerlichen Erpresser herangezüchtet«, sagte Krieg,
der sich offenbar damit abgefunden hatte, von Reinstetter geduzt zu werden. Er
überlegte, wie er aus der Geschichte herauskommen könnte. Vielleicht per
Telefon. Aber war ein Anruf bei der Polizei wirklich eine so gute Idee?
    »Ich hatte meine Bedenken wegen dieser Dosierung noch angemeldet«,
sagte Reinstetter. »Aber du hast meine Einwände natürlich nicht ernst genommen.
Außerdem hast du mich selbst auf die Idee gebracht, von dir Geld zu nehmen.
Aber ich habe es erst getan, nachdem ich selbst unverschuldet in Not geraten
bin.«
    »Du bist der Verbrecher«, stellte Krieg klar und fixierte nun den
Gegenstand, den der Besucher mitgebracht hatte.
    »Drei Morde …«, wiederholte der.
    »Das erste war schon mal ein Unfall. Und der angebliche zweite
Mord?«
    »Du hast meinen Bruder vergiftet«, sagte Hermann Reinstetter.
    »Wie kommst du denn darauf?«
    »Dietrichs Körper wies eine sechsfach höhere Dosis Amanitin auf als
die der anderen Patienten, die diese Pilzsuppe gegessen haben – glaubst du, das
war Zufall?«
    Krieg blieb die Antwort schuldig. »Und was soll ich damit zu tun
haben?«
    »Du …« In Hermann Reinstetter brach sich die Wut Bahn. Sein blasses
Gesicht lief rot an. »Du Schwein! Ich habe deinen Plan durchschaut. Dietrich
hatte dir nichts getan!«
    »Wenn es wirklich eine absichtliche Pilzvergiftung war, dann würde
ich mal in
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