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Giebelschatten

Titel: Giebelschatten
Autoren: Kai Meyer
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Pascin«, flüsterte er leise.
    Darbon wollte etwas sagen, doch Patrick brachte ihn mit einer Kopfbewegung zum Schweigen. »Ich kenne den Mörder«, sagte er.
    Voller Überraschung riß Darbon die Augen auf. Patrick streckte zögernd einen Arm aus und zog den Gendarm vorsichtig näher an sich heran.
    In Darbons Augen funkelte etwas, und er begriff.
    Patrick lächelte verlegen und nickte.
    Dann biß er Darbon die Kehle durch.
     
    Stiller heulte. »Es ist ein Zitat«, stammelte er, »ein Zitat von Juvét.« Er wollte zu einem seiner Regale laufen, aber die beiden Polizisten an seiner Seite hielten ihn eisern fest.
    »Ich zeige Ihnen das Buch, Inspektor«, jaulte er verzweifelt.
    »Schwein!« rief Valerie. Curtis legte ihr eine Hand auf die Schulter.
    Sie hatten ihn gefunden, nachdem sie das halbe Haus auf den Kopf gestellt hatten. Er saß in einer geheimen Nische hinter einem der Bilder in seiner Galerie, zusammengekauert wie ein verschrecktes Kaninchen in seinem Bau.
    Stiller schüttelte sich. »Es ist wahr. Ich war heute abend am Theater, und ich bin Ihnen gefolgt, Mademoiselle.« Seine Stimme klang heiser.
    »Ich habe nach Ihnen gerufen, und Sie sind nicht stehen geblieben. Aber alles, was ich wollte, war, mich nochmals bei Ihnen zu entschuldigen.«
    »Entschuldigen?« spie sie ihm bitter entgegen.
    »Warum haben Sie sich vor uns versteckt?« fragte Pascin hart.
    »Ich…«, begann Stiller, »ich hatte Angst. Ich hab Sie gesehen, hier oben, von diesem Fenster aus. Ich erwartete eine Lieferung von einem Freund, um mein Buch zu binden, und –«
    »Das interessiert mich nicht, Stiller«, unterbrach Pascin ihn ungeduldig. »Was ist mit diesem Satz, den Sie Mademoiselle Béjart gegenüber erwähnten?«
    Stiller fuhr auf. Einer der Polizisten gab ihm einen Stoß in die Rippen, der ihn abermals aufheulen ließ. »Das erkläre ich Ihnen ja schon seit einer halben Stunde. Wenn man das Böse aus dem Schönen entfernt, erhält man Vollendung. Juvét hat das geschrieben, in einem seiner Romane, und es fiel mir ein, als ich die Schlagzeile sah.« Er zitterte. »Jeder kann dieses Buch kennen, jede Bibliothek führt es.« Eine Träne kullerte über seine Wange. »Glauben Sie mir doch, ich habe niemanden umgebracht.«
    Pascin wollte etwas sagen, als ein Schrei aus dem Hof ihn herumwirbeln ließ.
    »Inspektor!« brüllte eine Stimme.
    Pascin stürzte zum Fenster und wollte es öffnen. Die Vorrichtung klemmte. Er rannte durch die Seitentür in die Galerie. Valerie konnte hören, wie er einen Hebel herunterriß.
    »Was ist los, verdammt?« rief er gedämpft nach draußen.
    Eine Stimme antwortete, aber Valerie konnte sie nicht verstehen. Sie sah Curtis an, aber er zuckte nur mit den Schultern.
    Kurz darauf kam Pascin zurück. Als Valerie in sein Gesicht sah, erschrak sie. Seine Haut war grau, die Wangen wirkten eingefallen.
    Rasch gab er den beiden Gendarmen einen Wink. »Laßt ihn frei.«
    Die Männer warfen sich einen Blick zu, der Zweifel am Verstand ihres Vorgesetzten verriet.
    »Laßt ihn frei!« wiederholte Pascin scharf.
    Stiller kroch tiefer in seinen Sessel.
    »Aber –«, begann Valerie.
    Pascin fiel ihr ins Wort. »Halten Sie den Mund.«
    Er schüttelte müde, fast traurig den Kopf. »Stiller ist unschuldig.«
    Und nach einer Pause fügte er leise hinzu: »Ihr Freund hat Darbon getötet.«
    »Mein Freund?« fragte sie verständnislos.
    Pascin nickte. »Er hat ihn gerissen wie ein wildes Tier. Mit den Zähnen.« Ekel geisterte über sein Gesicht wie ein Spuk. »Dann ist er geflohen. Er muß sich irgendwo in der Nähe verstecken.«
    Alle schwiegen. Valerie zitterte. Als Curtis sie in den Arm nehmen wollte, wies sie ihn ab. »Ich weiß wo er ist«, sagte sie leise.
    Die Köpfe der Männer fuhren herum.
    Valeries Lippen bebten. »Das Grand Guignol«, flüsterte sie.
     
    Der Zuschauerraum war erfüllt von tintiger Nacht. Die beiden hölzernen Engel, die von der strengen Deckentäfelung herablächelten, waren umgeben von Schwärze. Ihre Gesichter verzerrten sich in der Finsternis zu schattigen Fratzen, verschwommen und geheimnisvoll. Die Sitzreihen des langgestreckten Saales waren menschenleer, als Valerie und die Polizisten den Raum betraten.
    Auf der Bühne brannten zwei einsame Kerzen auf hohen Ständern und beleuchteten mit ihren zuckenden Flammen die Kerkerkulisse. Zwischen ihnen stand die riesige Wanne, in der Valerie am Ende jeder Vorstellung ihr grausiges Bad zu nehmen pflegte. In ihr hockte, mit bräunlich
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