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Giebelschatten

Titel: Giebelschatten
Autoren: Kai Meyer
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war geblieben von meinen ursprünglichen Texten. Sätze waren zerstückelt oder ganz gestrichen, Szenen völlig verändert und die letzten Seiten ›aufgehellt‹ worden. Und das, obwohl ich geglaubt hatte, mich dem Sujet bereits so weit wie möglich angenähert zu haben: Immerhin gab es in den Manuskripten leidenschaftliche Liebesgeschichten, Küsse im Abendrot und in einem Fall sogar meine Variante des ›Sie lebten glücklich bis zu ihrem Ende‹-Epilogs. Geholfen hat es freilich wenig. Lektoren können grausam sein.
    Jahrelang war ich trotz allem mächtig stolz auf diese Hefte. Erst als die ersten Bücher aus meiner Feder erschienen, rückten die Hefte allmählich tiefer ins Regal, um schließlich ganz in irgendwelchen Fächern zu verschwinden. Nicht, daß ich mich dafür schämte, im Gegenteil – ich sage es hiermit laut und aus größter Überzeugung: HEFTROMANE SIND DIE BESTE SCHULE, DIE EIN AUTOR SICH WÜNSCHEN KANN! Dennoch repräsentieren meine Bücher sehr viel eher das, was ich mir unter gelungenen Romanen vorstelle.
    Daß sich trotzdem immer wieder einzelne Ideen aus den Heften in die Bücher verirrten, einmal sogar – in HEX – ein ganzer Absatz, den ich fast unverändert übernommen habe, hat mich manchmal selbst erstaunt – so sehr, daß ich schließlich neugierig wurde und die unkorrigierten Originalmanuskripte durchsah. Wenig davon würde ich heute genauso oder auch nur ähnlich schreiben. Doch für den Leser – gerade jenen, der meine übrigen Bücher kennt – sind sie vielleicht trotzdem von Interesse. Mit Hilfe von Frank Festa, dem Verleger der Edition Metzengerstein, habe ich diese beiden Geschichten ausgewählt, um sie hiermit noch einmal zugänglich zu machen.
    Mit der ersten Novelle, DAS HAUS DES KUCKUCKS, hat es dabei eine besondere Bewandtnis. Autoren werden immer wieder gefragt, wie sie an die Ideen für ihre Romane kommen. Die albernste Antwort ist: »Das habe ich geträumt.« Niemand träumt runde, in sich geschlossene Geschichten, die es noch dazu wert wären, aufgeschrieben zu werden. Um so erstaunlicher ist, daß ich den Plot dieser Novelle tatsächlich geträumt habe – das erste und einzige Mal, daß mir so etwas passiert ist. Noch dazu konnte ich mich am Morgen an nahezu jedes Detail erinnern. Lediglich zwei Elemente habe ich später hinzugefügt: zum einen das Finale, zum zweiten das Motiv der Gewebefrau. Auf sie kam ich, als ich eine bizarre Illustration Jean Cocteaus zu seinem Roman LES ENFANTS TERRIBLES entdeckte. Leser meines neuen Romans DIE ALCHEMISTIN werden bemerken, daß ich den Aufhänger der Novelle – ein Waisenjunge wird in den Haushalt einer reichen Familie aufgenommen und verbreitet Unheil – darin noch einmal aufgegriffen habe. Sogar der Name dieser Figur, Christopher, ist derselbe geblieben.
    Beide Novelle – Das HAUS DES KUCKUCKS wie auch GRAND GUIGNOL 1899 –, fallen in das Genre der Gothic Novel, doch auf die erste trifft dies stärker zu als auf die zweite. Die meisten bekannten Zutaten sind vorhanden. Vom großen, verschachtelten Haus mit seinem verschlossenen Ostflügel bis hin zu alten Familiengeheimnissen, unheimlichen Butlern und wahnsinnigen Gegenspielern ist alles da, was die Leser schon vor zweihundert Jahren an dieser Art des Romans fasziniert hat.
    Nun ist aber der Heftroman nicht unbedingt die günstigste Form, breit angelegte Familienchroniken zu erzählen, zumal, wenn das Ganze in leserfreundlichem Großdruck erscheint. Eine Erzählung wie diese kommt auf rund achtzig Manuskriptseiten, ein Buch wie DIE ALCHIMISTIN hingegen umfaßt im Manuskript fast siebenhundert Seiten. Ich mußte mir also etwas einfallen lassen, um den knappen Raum möglichst sparsam zu nutzen. Dabei entschied ich mich, innerhalb einzelner Szenen von einem Protagonisten zum anderen zu springen, also möglichst viele Blickwinkel in einen Abschnitt zu pressen, um so zu versuchen, allen Figuren einigermaßen gerecht zu werden. Heute bereue ich diese Entscheidung, wirken solche Sprünge doch eher verwirrend als erhellend. Daß ich die Konstruktion der Geschichte für diese Neuveröffentlichung dennoch in der alten Form belassen habe, soll vor allem verdeutlichen, mit welchen Tricks ein Heftromanautor auf seinem begrenzten Raum arbeiten muß, um einigermaßen überzeugend das zu verwirklichen, was er sich vorgenommen hat.
    Heute recherchiere ich meine historischen Romane sehr ausführlich, doch im Falle von DAS HAUS DES KUCKUCKS habe ich das nicht getan. Noch ein Fehler,
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