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Giebelschatten

Titel: Giebelschatten
Autoren: Kai Meyer
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Mal?«
    »Keine Spur.«
    »Was für Schmierereien?« fragte Curtis. Sein Kopf ruckte hoch.
    »Wenn man das Böse aus dem Schönen entfernt, erhält man Vollendung«, zitierte Darbon aus seinen Unterlagen.
    Pascin schoß einen strafenden Blick auf ihn ab. »Vielleicht sollten Sie es über die Champs-Elysees schreien!«
    Darbon zuckte zusammen. »Ich dachte –«
    Pascin brachte ihn mit einer scharfen Geste zum Verstummen.
    Bei der Erwähnung des Satzes hatte Valerie überrascht aufgehorcht.
    Pascin wandte sich an Curtis, der immer noch mit aufgerissenen Augen dastand. »Ich denke, das Ihr Bruder zumindest für die letzen beiden Morde nicht in Frage kommt, vorausgesetzt er war wirklich bei dieser Hure.« Sein Blick verriet, daß er nicht wirklich daran zweifelte.
    Wenn man das Böse… Valerie dachte verzweifelt darüber nach, wo und von wem sie diese Worte schon einmal gehört hatte. Eine Zeitung erschien in ihrem Gedächtnis, eine Schlagzeile, ein kleiner Junge, Kaffee, ein Kellner – und Stiller! Immer wieder er.
    Sie sprach seinen Namen laut aus, heftiger, als sie gewollt hatte.
    Pascin, sein Assistent und der Polizist drehten sich zu ihr um. Und auch Curtis sah sie an. »Er hat diesen Satz gesagt. Im Café.« Sie warf Curtis einen flehenden Blick zu. »Ich bin mir ganz sicher.«
    »Ich… ich weiß nicht…«
    »Er hat es geflüstert, als er die Schlagzeile auf der Zeitung gesehen hat. Ganz leise. Aber es war dieser Satz.« Sie sah Pascin flehend an.
    Der Inspektor wandte sich an Curtis. »Sie wissen wo dieser Mann wohnt?« sagte er.
    Curtis nickte. »Ich komme mit.«
    Pascin schien kurz darüber nachzudenken, antwortete aber nicht, sondern drehte sich zu seinem Assistenten um. »Darbon«, begann er mit einem Wink zu Patrick, der immer noch zusammengekauert auf der Treppe hockte und nichts um sich herum wahrzunehmen schien. »Bringen Sie den Burschen in ein Krankenhaus. Irgend jemand soll sich um ihn kümmern. Und später möchte ich ihn in meinem Büro sehen.«
    Darbon wollte widersprechen, doch Pascin winkte ab.
    »Bitte, Darbon. Jemand muß bei dem Jungen bleiben, jemand, der sich auf sowas versteht.«
    Er beendete jede weitere Diskussion mit einem energischen Kopfschütteln und winkte dann Curtis, Valerie und zwei Polizisten mit sich. »Fahren wir.«
    Eine Kutsche der Gendarmerie brachte sie bis zu dem schmalen Einschnitt zwischen den Häusern, der auf den Hof vor Stillers Palais führte. Die Polizisten stürmten vor, Curtis und Valerie hinterher.
    Als auf mehrmaliges Klopfen niemand öffnete, warf Pascin Valerie einen letzten zögernden Blick zu, dann gab er das Kommando, die Tür aufzubrechen.
     
    Darbon saß mit Patrick in der winzigen Kabine einer Kutsche, deren Räder polternd über das Pflaster schepperten. Der Schauspieler saß ihm mit geschwollenen Augen gegenüber, den Oberkörper vornübergebeugt wie ein alter Mann. Die Lippen hatte er fest und blutleer aufeinandergepreßt, und sein Kopf wippte im Takt der Schlaglöcher.
    »Wie fühlen Sie sich jetzt?« fragte Darbon leise. Der Mord hatte den Jungen in einen diffusen Schockzustand versetzt. Darbon hatte Mitleid mit ihm.
    Statt einer Antwort schüttelte Patrick nur stumm den Kopf.
    »Wie lange kannten Sie sich?« fragte Darbon.
    »Nicht lange«, preßte Patrick hervor.
    Darbon nickte und dachte an seine eigene Verlobte. Sie wollten demnächst heiraten. Wenn ihr etwas zugestoßen wäre, bei Gott, er hätte den Verstand verloren.
    Er beschloß seine Taktik zu ändern und keine Fragen mehr zu stellen. Statt dessen begann er, beruhigend auf Patrick einzureden. »Der Inspektor wird das Schwein schon bekommen. Pascin mag nicht so aussehen, aber er ist einer der besten Polizisten, die in dieser Stadt herumlaufen. Glauben Sie mir, er wird ihn fangen.«
    Der Junge nickte abwesend. Darbon fragte sich, ob das ein Zeichen seiner Zustimmung war oder nur eine physikalische Reaktion auf den Zustand der Straße.
    »Aber das macht sie nicht lebendig, ich weiß«, fügte Darbon hinzu.
    Patrick schien für einen Moment aus seinem Dämmerzustand zu erwachen. Ganz, ganz langsam hob er den Kopf und bewegte lautlos die Lippen, so, als wolle er ihm etwas zuflüstern. Darbon lächelte besänftigend und beugte sich zu ihm hinüber.
    Von einer Sekunde zur nächsten schienen sich die Gesichtsmuskeln des Jungen zu entspannen. Seine Haut begann zu beben, als erwache ein Nest von Insekten darunter zu quirligem Leben.
    »Sie wollen sicher ein ebenso guter Polizist werden wie
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