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Giebelschatten

Titel: Giebelschatten
Autoren: Kai Meyer
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haben?« fragte er zum dritten Mal hintereinander.
    Der Polizist nickte. »Nichts.«
    »Es hat geschneit«, fuhr Valerie auf. »Er konnte ihn durch den Schnee nicht sehen.«
    Pascin schüttelte resigniert den Kopf. »Mademoiselle, so geht das nicht. Sie kommen hier herein, behaupten, der Mörder hätte Sie verfolgt, und nennen uns einen Namen, der ebenso gut aus Ihrer Phantasie stammen könnte.« Er blinzelte. »Wissen Sie, wie viele solcher Fälle ich täglich vor mir sitzen habe, genau auf diesem Stuhl?«
    »Er wohnt hier am Montmartre«, erwiderte Valerie tonlos. In ihrem Inneren brodelte es.
    »Adresse?« Pascins Augen wurden stechend.
    Sie senkte ihren Bück und starrte auf einen Stapel mit Akten. »Ich weiß es nicht. Eine Kutsche hat mich hingebracht. Ich kannte die Straße nicht.«
    »Warum hat er Sie nicht damals schon getötet?«
    »Ich war nicht allein.«
    »Wer war bei Ihnen?«
    »Ein Bekannter.«
    Pascin beugte sich vor. »Sein Name?«
    »Warum?« erkundigte sich Valerie trotzig.
    »Um Ihre Aussage zu bestätigen.«
    »Das wird er sicherlich tun.«
    Er seufzte. »Sein Name!« wiederholte er.
    »Lord Curtis Cranham.«
    Als hätte jemand Salz hinein gestreut, verengten sich Pascins Augen innerhalb eines Sekundenbruchteils zu finsteren Schlitzen.
    »Cranham?« fragte er alarmiert.
    Sie nickte.
    Pascin warf seinem Assistenten, der während der ganzen Zeit wortlos in einer Ecke des Raumes gesessen hatte, einen düsteren Blick zu.
    »Sagten Sie Cranham?« vergewisserte sich der Inspektor noch einmal bei ihr.
    »Ja, verdammt!« brüllte Valerie. »Was wollen Sie denn noch von…« Sie verstummte abrupt, als sie ihren Fehler erkannte. Es war zu spät. Mein Gott, dachte sie, du dumme, einfältige Kuh!
    Jetzt aber war es einmal heraus. Und vielleicht war es ja besser so.
    Pascin hakte sofort nach. »Sagt Ihnen der Name Aaron Cranham etwas?«
    Sie nickte erschöpft. Plötzlich fühlte sie sich nur noch müde. Müde und leer. »Das ist sein Bruder.«
    Der Stuhl flog krachend zur Seite, als Pascin wie von einer Tarantel gestochen aufsprang. »Darbon!« rief er triumphierend. »Haben Sie das gehört?«
    »Bin ich taub?« Sein Assistent sah aus, als hätte er seit Tagen kein Auge zugetan.
    Der Inspektor beachtete ihn nicht mehr. »Geben Sie uns seine Adresse«, befahl er Valerie.
    »Er ist nicht mehr da«, sagte sie.
    »Was?« Pascin legte den Kopf schräg.
    »Er ist nicht mehr da«, wiederholte Valerie. Und in schärferem Ton fügte sie hinzu: »Aaron war bei Curtis Zuhause. Die ganzen Tage. Auch während der Morde.«
    »Das wird sich zeigen«, sagte Pascin.
    Sie schüttelte den Kopf. »Aber jetzt ist er fort. Seit gestern morgen.«
    Pascin schien sie nicht mehr zu beachten. »Los, Darbon. Eine Kutsche. Sofort!«
    Der Mann sprang auf und verließ das Zimmer.
    Valerie legte Pascin eine Hand auf den Arm, als er an ihr vorbeieilen wollte. »Sie suchen den falschen Mann, Inspektor. Stiller ist der Mörder.« Ihre Stimme überschlug sich. »Verflucht, warum glauben Sie mir nicht?«
    Pascin blieb stehen und sah sie für einen Moment unschlüssig an. Dann löste er seinen Arm aus ihrem Griff. »Sie kommen mit uns«, zischte er.
    Ehe Valerie protestieren konnte, zog er sie mit sich aus dem Raum.
     
    Irina lachte hell auf. Das Bild fiel aus ihrer Hand und blieb in ihrem Schoß liegen.
    »Das sind wirklich Sie?« fragte sie ungläubig.
    Patrick nickte grinsend. »Die erste Photographie, die man von mir machte. Ich war damals dreizehn oder vierzehn und Hauptdarsteller beim Kindertheater im Waisenhaus.«
    Sie kicherte. »Als Rumpelstilzchen.«
    Patrick zuckte lachend mit den Schultern. »Damals konnte ich mir meine Rollen noch aussuchen.«
    Patricks Wohnung war klein, kaum sechs Schritte im Quadrat. Geheizt wurde mit Holz in einem kleinen Ofen, der gleichzeitig die einzige Kochgelegenheit bot.
    Sie waren gemeinsam in einem Restaurant gewesen um zu Abend zu essen. Irina hatte kein schlechtes Gewissen. Valerie hatte gleich zweimal recht gehabt: Erstens würde Curtis beim Warten auf Aaron wirklich lieber allein sein. Und zweitens war Patrick tatsächlich ungeheuer charmant.
    »Möchten Sie etwas trinken?« fragte er.
    Sie lächelte ihn an. »Was haben Sie denn anzubieten?«
    »Ganz ehrlich?«
    Sie nickte.
    Patrick grinste verlegen. »Nichts. Aber ich kann etwas holen. Gleich nebenan ist eine Wirtschaft.«
    »Nicht nötig«, erwiderte sie und schüttelte den Kopf.
    »Doch, wirklich«, sagte er hastig. »Das ist kein Problem. Ich
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