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Gesundheit - Eine Frage des Geschlechts

Gesundheit - Eine Frage des Geschlechts

Titel: Gesundheit - Eine Frage des Geschlechts
Autoren: Alexandra Kautzky-Willer , Elisabeth Tschachler
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Krebserkrankungen dann häufiger werden, werden Früherkennungsuntersuchungen seltener“, macht Petra Kolip aufmerksam. Das Angebot von Präventionsmaßnahmen – von Wirbelsäulengymnastik bis Entspannungsübungen – wird von Frauen öfter in Anspruch genommen als von Männern. Allerdings ebenfalls nur bis zu einem gewissen Alter: Ab 60 sind die Nutzungsraten auf einem ähnlich niedrigen Niveau wie die der Männer. 132
    Zwar zeigen Studien auch, dass die Überzeugung vieler Frauen, Kranksein sei der einzige legitime und akzeptierte Grund, sich aus den Überlastungen in der Familie zurückzuziehen, zu einer übertriebenen Inanspruchnahme von medizinischer Hilfe führen kann. 133 Das trifft jedoch offenbar nur dann zu, wenn sie dadurch nicht länger abwesend sein müssen. Wenn es beispielsweise um die gesundheitliche Wiederherstellung nach einem Herzinfarkt geht, so begeben sich Frauen wesentlich seltener als Männer für einen wochenlangen Aufenthalt in ein Rehabilitationszentrum und bevorzugen ambulante Maßnahmen 134 , die in der Zukunft auch ausgebaut werden sollen.
    Der Medikamentenkonsum überwiegt ganz deutlich bei den Frauen, jedoch hauptsächlich was Psychopharmaka und Schmerzmittel angeht: Frauen nehmen laut Selbstauskunft 2,8-mal so häufig wie Männer Medikamente gegen Kopfschmerzen ein und etwa doppelt so häufig wie Männer Antidepressiva, Schlafmittel oder Mittel gegen Gelenksschmerzen. 135 „Zwei Drittel der Langzeitpatienten [die Beruhigungsmittel bekommen] sind Frauen“, sagt der Pharmazeut Gerd Glaeske, der am Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen eine Professur für Versorgungsforschung innehat. 136 Und er gibt zu bedenken, dass unerwünschte Wirkungen, die mit einer solchen Dauerverordnung verbunden sind – wie etwa die Gangunsicherheit, die häufig die Ursache von Stürzen und Knochenbrüchen ist –, „zeigen, wie sich der potenzielle Nutzen von sinnvollen Arzneimitteln in sein Gegenteil verkehren kann“. Solche großteils dämpfend wirkenden Medikamente werden zuweilen auch als Therapie für das so genannte „Frauensyndrom“ gegeben, „das sich aus Symptomen wie Nervosität, depressive Verstimmung, Schlafstörungen, Kopf- und Migräneschmerzen und Herz-Kreislauf-Störungen zusammensetzt“, sagt Glaeske. Zwar würden genaue Kriterien zur Bestimmung des Krankheitswertes dieses Syndroms fehlen, die Arzneimittel aber trotzdem verordnet.
    Mengenunterschiede gibt es auch in der Verschreibung von Blutdruck- und Blutfettsenkern zur Vorbeugung von Gefäßschäden sowie bei Herz- und Diabetesmitteln – jedoch ist die Relation umgekehrt, selbst wenn unterschiedliche Häufigkeitszahlen von Bluthochdruck oder hohen Blutfettwerten ausgeglichen werden: Männer bekommen diese Arzneien häufiger verschrieben. Besonders auffällig ist laut Glaeske die Verordnung von Mitteln, die Blutgerinnsel nach Schlaganfall oder Herzinfarkt verhindern sollen (siehe auch: „Auf Herz und Nieren“ ).
    Laut eigenen Angaben leiden 33 Prozent der Frauen an zumindest einem chronischen, also lang andauernden gesundheitlichen Problem; bei den Männern sind es 29 Prozent. 137 Das bedeutet: Frauen leben zwar länger, erleben aber weniger Lebenszeit in guter Gesundheit. „Gender Paradoxon“ nennt die Wissenschaft dieses Phänomen. Diese gesunde Lebenserwartung wird in der internationalen Gesundheitsberichterstattung seit den 1970er Jahren sowohl von der Weltgesundheitsorganisation WHO als auch von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD berechnet und gewinnt immer mehr an Bedeutung. Denn sie gibt nicht nur Aufschluss darüber, wie lange Menschen leben, sondern auch, in welcher Lebensqualität.
    Verlässliche epidemiologische Daten sind selten, der Gesundheitszustand wird, vor allem im Österreich, meist durch Befragungen der Bevölkerung über die eigene Gesundheit ermittelt. Da die Krankheitshäufigkeit bzw. der Gesundheitszustand zum Teil bloß abgefragt, also ziemlich subjektiv beurteilt wird, sind die Zahlen ungenau. Manche Forscherinnen und Forscher geben deshalb die Verzerrungen zu bedenken, die dadurch entstehen, dass Männer Gesundheitseinrichtungen seltener in Anspruch nehmen und deshalb möglicherweise häufig unerkannt krank sind, Frauen hingegen eher über Gesundheitsprobleme und Beschwerden klagen und sie als krankheitswertig einstufen. Bereits unter den 15-Jährigen, also ab der Pubertät, werten nur 23,6 Prozent der Mädchen, aber 40,3 Prozent der Jungen ihre
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