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Gestern fängt das Leben an

Gestern fängt das Leben an

Titel: Gestern fängt das Leben an
Autoren: Allison Winn Scotch
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darüber nachzudenken.
    Was wäre, wenn ich mich damals für Jack entschieden hätte? Was wäre, wenn Henry doch nicht der Richtige für mich ist? Was wäre aus meinem Leben geworden, wenn ich Henry nie geheiratet hätte?
    Mein ganzer Körper verspannt sich plötzlich noch mehr. Als Reaktion darauf spüre ich Garlands Finger noch heftiger kneten. Ich atme aus und versuche, die negativen Gedanken wegzuschieben.
    Nein, ich bin glücklich
, denke ich.
Ich bin eine liebende Ehefrau mit einer wunderschönen Tochter, die es schon auf siebzehn vollständige Wörter bringt (mit «Barbie» sogar auf achtzehn!). Ich bin eine Frau, deren Ehemann ein funkelnder Stern an der Wall Street ist, und der mich immer noch zum Orgasmus bringen kann.
    «Ihr Qi ist blockiert», höre ich Garland in mein linkes Ohr flüstern, während er meinen Rücken wie Hefeteig knetet. «Ich werde jetzt versuchen, die Blockade zu lösen. Sie spüren vielleicht einen etwas unangenehmen Druck.»
    «Okay», grunze ich.
    «Also, tief einatmen», befiehlt er. «Kann sein, dass es jetzt wehtut.»
    Seine Hände pressen gegen meine Schläfen und fahren meinen Nacken hinunter, dann rammt er seine Ellenbogen in die Kuhlen direkt unter meinen Schulterblättern. Mir entfährt ein Keuchen, das die feine Grenze zwischen Lust und Schmerz markiert. Und im nächsten Augenblick habe ich alles vergessen.
    Ich denke nicht mehr an Henry oder an Jack und auch nicht mehr an vergorene Milch in meinem Auto oder an die achtzehn Worte meiner Tochter. Ich kann nur noch entspannt ausatmen und mir wünschen, jeder Augenblick meines kleinen, unbedeutenden Lebens würde sich so gut anfühlen wie dieser.

2
    Ich muss aufstehen. Ich muss endlich aufstehen!
    Das sage ich mir jetzt schon seit mindestens fünf Minuten, aber ich kann einfach keinen Muskel rühren. Mein Gehirn wird mit einem Vorschlaghammer malträtiert, und ich habe den Geschmack von verfaulten Mandarinen im Mund. Ich bin mir sicher, dass es draußen schon hell ist, aber meine Schlafmaske hat mich vor sämtlichen Sonnenstrahlen abgeschottet.
    Katie ist bestimmt schon wach
, brumme ich innerlich.
Sie spielt in ihrem Bettchen mit dem braunen Kuschelhund, den Henrys Mutter ihr geschenkt hat, und sie hat bestimmt Hunger, also schwing deinen Hintern aus dem Bett und steh endlich auf!
    Bei dem Gedanken an Frühstück dreht sich mir jedoch der Magen um, als müsste ich mich jeden Moment übergeben. Ich hebe die bleischwere Hand und streiche mir mit den Fingern übers Gesicht. Mir steht der kalte Schweiß auf der Stirn.
    Steh auf! Steh endlich auf! ,
ermahne ich mich noch einmal.
    Ohne die Schlafmaske abzunehmen, ziehe ich die Knie an und schwinge mich zur Seite.
    «Au, Scheiße!», schreie ich und reiße mir panisch die Maske vom Gesicht. Ich bin mit den Beinen gegen eine Wand geknallt, eine echte Wand, nicht die Art Wand, von der mein Spinning-Trainer immer spricht, wenn die Stundenoch zehn Minuten dauert. Nein, ich liege zusammengerollt auf der linken Seite des Bettes und starre eine weiße Wand an.
    Hektisch drehe ich den Kopf nach rechts. Irgendetwas stimmt hier nicht. Das ist nicht mein Zimmer. Das ist eindeutig nicht mein Zimmer. Trotzdem kommt es mir irgendwie vertraut vor. Hier war ich schon mal.
    Mühsam schiebe ich mich hoch. Mein Kopf fängt wie wild an zu pochen, und meine Eingeweide geraten in Aufruhr. Ich habe einen Kater. Ja, ich habe eindeutig einen Kater. Ohne jeden Zweifel.
    Ich krame in meinem Gedächtnis nach irgendwelchen Hinweisen auf den gestrigen Abend. Doch ich kann mich an nichts erinnern, außer an mein blockiertes Qi und an Garlands Ellenbogen und an das Gefühl zu explodieren, als er sie mir in den Rücken rammte.
    Mit einem Schnaufen schieße ich aus dem großen Doppelbett mit der karierten Bettwäsche und dem Kopfteil aus Kiefernholz. Das Ding ist eindeutig von Ikea. Eine Erinnerung überfällt mich: Die Fahrt in den Laden, Gedrängel in der Bettenabteilung, bis wir uns für dieses entschieden haben.
Wir.
Mich trifft der Schlag. Augenblicklich ist mir noch schlechter. Ich eile ins Bad, von dem ich instinktiv weiß, dass es gleich rechts neben dem Schlafzimmer liegt – und übergebe mich.
    Wir. Das heißt Jack und ich   … Unmöglich.
    Ich schließe die Augen und greife nach dem Klopapier, um mir den Mund abzuwischen. Dann ziehe ich mich hoch und wanke zum Waschbecken. Im dämmrigen Licht der Badbeleuchtung – eine Glühbirne ist durchgebrannt – sehe ich ängstlich in den Spiegel. Mit einer
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