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Gestern fängt das Leben an

Gestern fängt das Leben an

Titel: Gestern fängt das Leben an
Autoren: Allison Winn Scotch
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Raum. Sie drückt auf einen Knopf, und die Anlage kommt abrupt zum Stehen. Dann greift sie nach einer Stange und angelt Henrys Hemden hervor.
    «Sie nicht schlafen?», fragt sie. «Weil Sie wirklich nicht sehen so gut aus.»
    Ich presse die Lippen zusammen und zwinge mein Gesicht in eine Art Lächeln. Ich kann förmlich spüren, wie die Wangen sich in Falten legen und sich Grübchen bilden.
    «Nein.» Ich schüttle den Kopf. «Wahrscheinlich nicht genug Schlaf.»
    «Was denn los?», fragt Mrs.   Kwon und kämpft mit den Hemden über ihrem Kopf.
    «Nichts.» Ich zucke die Achseln. Meine Gesichtsmuskulatur fängt vor Anstrengung schon zu zittern an. «Überhaupt nichts.»
    «Sie nicht ehrlich», schimpft Mrs.   Kwon plötzlich. «Wenn Sie nicht schlafen, immer ist was los.» Sie holt die Hemden ein wie ein Fischer seinen Fang und breitet sie anschließend quer über den Tresen aus.
    Anstatt einer Antwort wühle ich in meiner Handtasche nach der Geldbörse.
    «Haben Sie mit Mann gesprochen?» Mrs.   Kwon kennt kein Erbarmen. «Sie immer seine Sachen holen, aber ich ihn noch nie gesehen. Warum? Wo ist er? Wieso holt er nie selber seine Hemden?»
    «Er arbeitet», sage ich.
    «Eh!» Sie macht eine abfällige Handbewegung. «Männer immer arbeiten. Sie nicht merken, dass Frauen auch arbeiten.» Sie deutet nach hinten. «Mein Mann denken, weil ich Frau, ich muss putzen, kochen und machen die Reinigung.Was macht er? Nix!» Sie wedelt noch heftiger als sonst mit den Händen.
    Ich setze ein mitfühlendes Lächeln auf und warte aufs Wechselgeld, während Mrs.   Kwon leidenschaftlich auf ihre Kasse eintippt.
    «Wissen Sie, was Sie brauchen?», fragt sie, als die Kasse aufspringt. «Mehr Sex.»
    Ich spüre, wie ich knallrot werde.
    «Nein, das nicht peinlich sein. Jede Frau braucht mehr Sex. Dann schlafen besser. Dann Ehe besser. Sex macht alle Dinge besser.»
    «Tja, aber unglücklicherweise», sage ich und versuche, die Demütigung runterzuschlucken, die sich einstellt, wenn einem die Frau von der Reinigung Ratschläge fürs Liebesleben erteilt, «befindet Henry sich gerade in London. Und zwar noch mindestens eine ganze Woche lang.» Unerwähnt lasse ich die Tatsache, dass Henry fast immer in London ist oder in San Francisco oder Hongkong oder sonst wo, nur nicht in unserem malerischen, heimeligen Vorort, dreißig Meilen außerhalb von Manhattan. Henrys ständige Reiserei ist der Preis, den wir für seinen Erfolg als jüngster Firmenpartner der kleinen, aber feinen Investmentbank bezahlen müssen.
    «Oooh, das sehr schade.» Mrs.   Kwons Augen werden klein. «Sie so aussehen, als wenn Sie guten Sex brauchen. Schnell.» Sie zuckt die Achseln und zeigt wieder die Zähne. «Vielleicht Sie sehen besser aus nächste Woche!»
    Vielleicht
, denke ich, als ich zurück zu meinem Wagen stolpere.
Aber wahrscheinlich eher nicht.
    ***
    «Sie sind aber ziemlich verspannt», flüstert Garland gerade laut genug, damit ich ihn hören kann. Im Hintergrund läuft Esoterikpop von Enya.
    Ich spüre, wie meine Muskeln sich unfreiwillig noch mehr verkrampfen und sich mit aller Macht gegen die Entspannung zur Wehr setzen, die er zu erzwingen versucht.
    «Die ganze Rückenregion hier ist total verspannt», wiederholt er. «Da haben wir heute aber noch ganz schön was vor uns.»
    Ich stöhne und bette mein Gesicht vorsichtig wieder auf das ringförmige Kissen, damit ich nicht völlig zerknautscht bin, wenn Garland fertig ist. Nicht dass er mich nicht schon mal in einem katastrophalen Zustand gesehen hätte. Wenn ich mich beispielsweise vor Nackenschmerzen kaum noch bewegen kann, sprudeln manchmal die Schluchzer nur so aus mir heraus. Seine Hände bearbeiten dann meinen Körper und setzen angeblich frei, was er als «verirrte Energien» bezeichnet. Durch die Kraft der Massage werden sie zwar wieder entwirrt, aber mein Anblick ist auch danach sicher noch kein besonders attraktiver.
    Seit fast vier Monaten bin ich jetzt jede Woche bei Garland. Und bis jetzt ist auch noch nichts Unschickliches vorgefallen. Denn wie mir meine Freundinnen aus der Pilates-Stunde erzählt hatten, lässt dieser Mann mit den kräftigen Unterarmen und dem kaffeebraunen Haar seine heilenden Hände ab und zu an Stellen gleiten, die sicher nicht alle Kunden gutheißen würden. Im Gegensatz zu meinen Freundinnen.
    Bei mir ist so was noch nicht vorgekommen. Was in gewisser Weise ziemlich beruhigend ist. Ich habe Henry mitsiebenundzwanzig kennengelernt, und seitdem hat es keinen
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