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Sieben Tage für die Ewigkeit - Roman

Sieben Tage für die Ewigkeit - Roman

Titel: Sieben Tage für die Ewigkeit - Roman
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Erster Tag
    Auf seinem Bett ausgestreckt betrachtete Lukas das hektisch blinkende Lämpchen seines Piepsers. Er klappte sein Buch zu und legte es neben sich; er war begeistert. Er las diese Geschichte nun schon zum dritten Mal innerhalb von vierundzwanzig Stunden, und seit Höllengedenken hatte ihn keine Lektüre mehr so gefesselt.
    Er strich mit der Fingerkuppe über den Buchdeckel. Dieser Hilton war auf dem besten Weg, sein Kultautor zu werden. Er nahm das Werk wieder in die Hand, überglücklich, dass ein Gast es in der Nachttischschublade des Hotels vergessen hatte, und beförderte es mit einem gezielten Wurf in den geöffneten Koffer am anderen Ende des Raums. Er sah auf die Wanduhr, räkelte sich und verließ das Bett. »Steh auf und wandle«, sagte er sich vergnügt. Vor dem Spiegel des Schranks zog er den Krawattenknoten zurecht, strich die Jacke seines schwarzen Anzugs glatt, nahm seine Sonnenbrille von dem kleinen Tisch neben dem Fernseher und steckte sie in die Brusttasche seines Jacketts. Der Piepser an seinem Gürtel hörte nicht auf zu vibrieren. Er stieß die Tür des Wandschranks mit dem Fuß zu und trat ans Fenster. Er zog die graue Gardine zur Seite, um einen Blick in den Innenhof zu werfen; kein Windhauch würde den Smog vertreiben, der den Süden Manhattans überzog und sich bis an die Grenzen von TriBeCa erstreckte. Der Tag würde glühend heiß werden, Lukas liebte die Sonne, und wer wusste besser als er, wie schädlich sie war. Förderte sie in Dürregebieten nicht die Ausbreitung aller möglichen Keime und Bakterien? War sie nicht unerbittlicher als der Sensenmann, um die Schwachen von den Starken abzusondern? »Und es werde Licht«, trällerte er und nahm den Hörer ab. Er bat den Mann an der Rezeption, ihm die Rechnung vorzubereiten – er müsse vorzeitig abreisen – und verließ das Zimmer.
    Am Ende des Flurs schaltete er die Alarmvorrichtung der Tür ab, die zur Nottreppe führte.
    Im kleinen Innenhof nahm er das Büchlein an sich, warf den Koffer in den großen Müllcontainer und machte sich beschwingten Schrittes auf den Weg.
    In der kleinen Straße von SoHo mit dem unregelmäßigen Pflaster fixierte Lukas mit gierigen Augen ein gusseisernes Balkongeländer, das nur durch zwei verrostete Nieten daran gehindert wurde, in die Tiefe zu stürzen. Die Mieterin im dritten Stock, ein junges Mannequin mit allzu schön modellierten Brüsten, einer unverschämt schlanken Taille und vollen Lippen, hatte es sich eben in ihrem Liegestuhl bequem gemacht, nichts ahnend, und das war gut so. In wenigen Minuten (wenn sein Blick ihn nicht täuschte, und er täuschte ihn nie) würden die Nieten nachgeben. Die zauberhafte junge Frau würde dann mit verrenkten Gliedern drei Etagen tiefer aufschlagen. Das Blut, das aus ihrem Ohr zwischen die Fugen der Pflastersteine liefe, würde das Entsetzen in ihrem Gesicht noch unterstreichen. So bliebe ihr hübsches Antlitz erstarrt, bis es sich in einer Holzkiste zersetzte, in die das hübsche Kind von ihrer Familie eingesperrt würde, sobald alles unter einer Marmorplatte und Litern sinnloser Tränen verschwunden war. Ein Nichts, das höchstens vier schlecht redigierte Zeilen in einem Stadtteil-Blättchen zur Folge haben und dem Hausverwalter einen Prozess einbringen würde. Der verantwortliche Ingenieur im Rathaus würde seine Stelle verlieren (man braucht schließlich immer einen Sündenbock), einer seiner Vorgesetzten würde die Angelegenheit begraben; der Unfall wäre zum Drama geworden, hätten sich Passanten unter dem Geländer befunden. Es gab also noch einen Gott auf dieser Welt – und das war das eigentliche Problem von Lukas.
    Der Tag hätte perfekt beginnen können, hätte im Innern der hübschen Wohnung nicht das Telefon geklingelt, das die Mieterin offenbar im Badezimmer hatte liegen lassen. Sie stand doch tatsächlich von ihrem Liegestuhl auf, um es zu holen: Kein Zweifel, es steckte entschieden mehr Hirn in einem Mac als im Kopf eines Mannequins, dachte Lukas frustriert.
    Er biss die Zähne zusammen, und sein Kiefer knirschte wie der Müllwagen, der die Straße herunterkam und sie erzittern ließ. Mit einem trockenen entschiedenen Knacken riss die Metallkonstruktion aus der Fassade und stürzte in die Tiefe. Im Stockwerk darunter zerbarst ein Fenster, zertrümmert durch ein Stück des Geländers. Ein gewaltiges Mikado aus verrosteten Eisenträgern, besetzt mit Kolonien von Tetanusbazillen, krachte auf das Pflaster. Lukas’ Auge leuchtete wieder
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