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Gestern fängt das Leben an

Gestern fängt das Leben an

Titel: Gestern fängt das Leben an
Autoren: Allison Winn Scotch
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einem Pornoheft erwischt worden ist, knallt er erschrocken die Kühlschranktür zu.
    «Äh, guten Morgen erst mal.» Forschend sieht er mich an. «Hm, vielleicht solltest du dir was anziehen? Nicht, dass es mich stört, dich nackt durch die Küche laufen zu sehen. Aber die Nachbarn, du weißt schon.» Er deutet zum Fenster.
    Irritiert blicke ich an mir runter. Ich bin tatsächlich nackt! Genau wie damals vor sechs Monaten und sieben Jahren.
    «Katie? Wo ist Katie?» Ich ignoriere Henrys Einwandkomplett. Panikwellen durchlaufen mich, ich kann nichts dagegen tun.
    «Sie ist doch bei deiner Mutter. Himmel, Jill, was ist denn mit dir los?»
    «Was soll das heißen, sie ist bei meiner Mutter?», frage ich gereizt, wirble herum und suche hektisch nach irgendeinem Anzeichen für Katies Verbleib. «Was tut sie denn bei meiner Mutter, verdammt nochmal?»
    Ohne eine Antwort abzuwarten, renne ich ins Wohnzimmer. Der Raum wirkt anders, weniger prahlerisch. Es gibt keine vergoldeten Lampenfüße und keine maßgefertigte Sitzgarnitur. Trotzdem wirkt es gemütlich.
    Ich schnappe mir einen einzelnen rosaroten Socken vom Boden, den Katie irgendwann ausgezogen haben muss, ohne dass es bis jetzt jemandem aufgefallen wäre.
    «Sie ist jeden Montag bei deiner Mutter», sagt Henry gedehnt. Er lehnt im Türrahmen und sieht mir belustigt zu, wie ich nackt durchs Wohnzimmer hüpfe. «Was soll also die ganze Aufregung?»
    Ich höre ihn zwar sprechen, aber ich verstehe ihn nicht. «Und das?», frage ich und wedle hektisch mit Katies Socke vor seinem Gesicht herum. «Was ist das?» Meine Stimme schrillt in ungeahnten Höhen.
    «Äh, das ist Katies Socke», sagt er ruhig.
    «Ja, genau! Ihre Socke!», kreische ich und fange plötzlich an zu schluchzen.
    Henrys Augen werden groß wie Unterteller. Er kommt auf mich zu und nimmt mich in den Arm. Ich atme den minzigen Duft seines Shampoos ein und den seiner Rasiercreme. Es ist ein vertrauter Duft, den ich schon lange nicht mehr registriert habe.
    «Jill, setz dich hin. Dir geht es offensichtlich nicht gut.» Er führt mich zum Sofa, und wir setzen uns nebeneinander. Henry legt mir eine Decke um und streichelt mir den Rücken.
    «Also geht es ihr gut?» Ich ringe keuchend nach Luft.
    «Katie? Geht es ihr gut?» Ich wische mir mit dem Handrücken die Nase ab, und erst jetzt fällt mir auf, dass der breite, goldene Ehering wieder an meinem Finger steckt. Wie gewohnt streife ich mit dem Daumen darüber, vor und zurück und wieder vor. Den Ring wieder am Finger zu spüren, wirkt beruhigend auf mich.
    «Natürlich geht es ihr gut», erklärt Henry. «Wieso auch nicht? Du hast einfach nur etwas länger geschlafen. Gestern Abend ging es dir schon nicht besonders gut, und deshalb habe ich dich nicht geweckt, als deine Mutter heute Morgen kam, um Katie abzuholen.»
    Ich nicke, auch wenn ich gar nichts kapiere. Die Reise in die Vergangenheit war einfacher gewesen: Alles war so, wie es vor sieben Jahren gewesen ist. Außerdem kannte ich die Ereignisse, die vor mir lagen (am Anfang wenigstens). Die Rückkehr ist ungleich stockender, weil ich offensichtlich so viel verpasst habe. So vieles scheint anders zu sein.
    «Okay», sagt Henry. «Ich rufe jetzt Josie an und sag ihr, dass du sie heute nicht vom Flughafen abholen kannst. Wir schicken ihr einen Wagen, in Ordnung?»
    «Was? Wieso soll ich Josie vom Flughafen abholen?»
    Henry starrt mich an. Er macht den Mund auf, um etwas zu sagen, klappt ihn dann aber wieder zu.
    «Wegen eurer Präsentation», sagt er schließlich. «Ihr habt monatelang daran gearbeitet.» Er atmet tief durch. «Jilly, ichglaube, wir sollten den Arzt rufen.» Er steht auf und will zum Telefon gehen.
    «Nein! Stopp!» Ich ziehe ihn zurück aufs Sofa. «Ich   … ich bin nur etwas durcheinander. Gib mir nur eine Minute.» Ich kaue auf meiner Lippe und tue so, als würde ich mich innerlich sammeln. Mit einem gezwungenen Lächeln drehe ich mich wieder zu Henry. «Siehst du? Mir geht es schon viel besser.»
    Henry sieht mich zweifelnd an und will gerade etwas erwidern, als es an der Haustür klingelt. Vor Schreck fahren wir beide in die Höhe.
    «Scheiße», sagt er. «Ich werde abgeholt.»
    «Abgeholt? Wohin?» Die Worte kommen schriller aus meinem Mund als erwartet. Ich will zumindest die Fassade einer stabilen Gemütsverfassung aufrechterhalten.
    Denn auch wenn ich fest entschlossen bin, mich Henry künftig mehr zu öffnen, ist es doch sicher keine besonders gute Idee, ausgerechnet mit dem
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